Logik von Terror und Krieg überwinden
Aus Anlass des Internationalen Tages der Geschwisterlichkeit aller Menschen sowie des fünften Jahrestages der Unterzeichnung des Abu-Dhabi-Dokuments erklärt der Vorsitzende der Unterkommission für den Interreligiösen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg):
„Am 4. Februar 2019 wurde in Abu Dhabi ein neues Kapitel in den interreligiösen Beziehungen weltweit aufgeschlagen. Das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen ist ein eindringlicher Weckruf gegen Gewalt im Namen Gottes und für die gemeinsame Friedensverantwortung der Religionsgemeinschaften. Die Vereinten Nationen würdigen dies, indem sie den 4. Februar zum Internationalen Tages der Geschwisterlichkeit aller Menschen erklärt haben.
Viele der Themen, die im christlich-muslimischen Dialog-Dokument von Abu Dhabi grundgelegt wurden, hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika Fratelli tutti wenig später aufgegriffen und weiterentwickelt. Dabei lautet eine Kernbotschaft: ‚Zwischen den Religionen ist ein Weg des Friedens möglich‘ (FT 281). Mehr noch: Gott hat einen jeden und eine jede von uns dazu berufen, Friedensstifter zu sein (vgl. FT 284/285).
Die ruchlosen Angriffe der Hamas und der grausame Krieg, der seit Oktober 2023 im Gazastreifen tobt, werfen auch auf die Beziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften einen dunklen Schatten. Wie kann ein geschwisterliches Miteinander von Juden, Christen und Muslimen möglich sein, wenn die Logik von Terror und Krieg vorherrscht? Wer die Worte und Taten des Papstes ernst nimmt, der erkennt: Ein Anfang wäre gemacht, wenn es uns gelingen würde, das Leid der jeweils Anderen wirklich anzuerkennen. Um die vielen unschuldigen Opfer zu weinen, gleich welcher Religion sie angehören, gemeinsam das Blutvergießen zu beklagen – das wäre ein Ausdruck wahrer Geschwisterlichkeit.
Papst Franziskus ermutigt uns in diesen schweren Zeiten, den Weg der Geschwisterlichkeit weiterzugehen. Ein Bewusstsein dafür, dass jeder Mensch Kind Gottes ist, kann wie ein Sauerteig des Friedens wirken. In diesem Sinne lade ich alle Gläubigen dazu ein, am Internationalen Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen das Ökumenische Gebet aus der Enzyklika Fratelli tutti zu sprechen. Beten wir gemeinsam mit Papst Franziskus um die Einsicht, dass die Menschen der unterschiedlichen Kulturen und Religionen ‚verschiedene Gesichter der einen Menschheit sind‘, die Gott liebt.“
Ökumenisches Gebet von Papst Franziskus (aus der Enzyklika „Fratelli tutti“)
Herr, unser Gott, dreifaltige Liebe,
lass aus der Kraft deiner innergöttlichen Gemeinschaft
die geschwisterliche Liebe in uns hineinströmen.
Schenke uns die Liebe, die in den Taten Jesu,
in der Familie von Nazaret und in der Gemeinschaft der ersten Christen aufscheint.
Gib, dass wir Christen das Evangelium leben
und in jedem Menschen Christus sehen können,
dass wir ihn in der Angst der Verlassenen und Vergessenen dieser Welt
als den Gekreuzigten erkennen
und in jedem Bruder, der sich wieder erhebt, als den Auferstanden.
Komm, Heiliger Geist, zeige uns deine Schönheit,
die in allen Völkern der Erde aufscheint,
damit wir entdecken, dass sie alle wichtig sind,
dass alle notwendig sind, dass sie verschiedene Gesichter
der einen Menschheit sind, die du liebst.
Amen.
Hintergrund
Während seiner Apostolischen Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate ist Papst Franziskus am 4. Februar 2019 mit dem Scheich der ägyptischen Al-Azhar, Großimam Ahmad al-Tayyib, zusammengetroffen, der vielen als höchste Autorität des sunnitischen Islam gilt. Bei ihrer Begegnung unterzeichneten der Papst und der Großimam das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt, das auch unter dem Namen Abu-Dhabi-Dokument bekannt geworden ist. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 21. Dezember 2020 beschlossen, dass der 4. Februar künftig jedes Jahr als Internationaler Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen begangen werden soll. In den vergangenen Monaten gab die Haltung der Azhar zu den Terrorangriffen der Hamas Anlass zur Kritik, auch von kirchlicher Seite.