Ukraine-Krieg und Lage im Nahen Osten als mögliche Themen Die Kirche habe ihm sein Wertegerüst mitgegeben, bekennt Bundeskanzler Scholz. Auch wenn er selbst konfessionslos ist. Am Samstag trifft er erstmals Papst Franziskus bei einer Privataudienz im Vatikan.
Von Anita Hirschbeck und Birgit Wilke (KNA)
Berlin (KNA) Mehrmals führten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Auslandsreisen schon nach Italien. Bei der anstehenden Visite am Ende der Woche nach Rom erlebt er aber eine Premiere: Erstmals empfängt ihn dort Papst Franziskus zu einer Privataudienz im Vatikan. Über die Themen, die sie am Samstag ansprechen werden, ist nichts bekannt. Wenn das Treffen stattfindet – derzeit ist der Papst wegen einer Grippe geschwächt – dürften aber sicherlich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Lage im Gazastreifen und in Israel zur Sprache kommen.
Erstmals empfängt der Papst einen deutschen Kanzler, der selbst konfessionslos ist. Scholz wurde protestantisch getauft, ging auch zum Konfirmationsunterricht, trat aber vor einigen Jahren aus der Kirche aus. Seinen Amtseid leistete er daher ohne Gottesformel. Wichtig sind ihm die Kirchen aber trotzdem: Er beziehe sein Wertegerüst auch aus seinen protestantischen Wurzeln, erklärte er in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Tief verankert sei bei ihm auch das christliche Arbeitsethos. Und – so betonte er zuletzt beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg 2023 – er habe „mit großem Interesse“ das Alte und Neue Testament der Bibel gelesen.
Auch in seinem politischen Handeln weist er immer wieder darauf hin, dass die Kirchen ihm wichtig sind: Als Hamburgs Erster Bürgermeister bezeichnete er das Zusammenwirken von Kirche und Politik als hohes Gut: „Unser Staat ist religiös neutral, aber er setzt auf die Mitarbeit der Religionsgemeinschaften.“ Sie übernähmen eine wichtige Rolle im Sozialbereich, in Bildung und Erziehung und in der öffentlichen Meinungsbildung. Als Politiker trete er dafür ein, „dass diese wichtige Arbeit erhalten bleibt und dass wir die christliche Prägung unserer Kultur wertschätzen“.
Von Telefongesprächen und einer Begegnung kennen sich Scholz und Franziskus bereits: Bekannt ist, dass die beiden etwa im März 2022 nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine miteinander sprachen. Sie trafen sich zudem im vergangenen Jahr bei der Beisetzung von Benedikt XVI. im Vatikan. Scholz’ Vorgängerin Angela Merkel hatte Papst Franziskus zwischen 2013 – seinem Amtsantritt – und 2021 – ihrer Verabschiedung – fünf Mal im Vatikan besucht. Sie habe Franziskus als „vielseitig interessierten, sehr gut informierten Mann kennengelernt, als einen Geistlichen, der sehr den Menschen und ihren Sorgen zugewandt ist“, so Merkel nach der ersten Begegnung. Seine unprätentiöse, zugewandte Art habe sie begeistert, erzählten Beobachter.
Scholz wird bereits am Freitag nach Rom fliegen und zunächst den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella treffen. Möglicherweise erkundigt sich der Kanzler dann am Folgetag beim Papst zum Stand von dessen Friedensmission: Franziskus kennt sowohl den russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Nachdem Kritiker dem Papst zunächst vorgeworfen hatten, die Kriegsparteien Ukraine und Russland in seinen Ausführungen zu sehr auf eine Stufe zu stellen, half Franziskus in den vergangenen Monaten mit, Gefangenenaustausche zu organisieren. Zudem startete er mit dem von ihm beauftragten Kardinal Matteo Zuppi eine Mission: Seit rund neun Monaten steht dieser unter anderem mit den Vatikan-Botschaftern in Kiew und Moskau sowie mit Verantwortlichen auf beiden Seiten in Kontakt. Zuletzt dankte ein Berater Selenskyjs dem Kardinal für dessen Einsatz für die Rückführung von nach Russland verschleppten Kindern. Das Verhältnis des Vatikans zum russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill, der Putin nahesteht, litt unter diesen Aktivitäten.
Sicherlich wird Franziskus sich auch umgekehrt nach der Haltung Deutschlands und nach Waffenlieferungen an die Ukraine erkundigen. Möglicherweise wird er Scholz’ Haltung zu Waffenlieferungen, die von vielen als zu zögerlich empfunden wird, eher nachvollziehen als viele Politiker.
Zweites größeres Thema dürfte der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sein sowie der daraus entstandene Gaza-Krieg. Mehrmals rief Papst Franziskus zu Frieden in der Region auf und empfing Angehörige von Geiseln der Hamas sowie Verwandte von Menschen in Gaza. Vorstellbar ist, dass der Papst das besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Israel würdigt und mit Scholz Möglichkeiten für eine Waffenruhe auslotet.
Dem Papst war nach dem Terrorangriff von israelischer Seite vorgeworfen worden, die Hamas in einem Waffenstillstands-Appell nicht deutlich genug verurteilt zu haben. Allerdings sehen ihn andere gerade wegen der Betonung auf Neutralität als möglichen Vermittler. Zuletzt hatten allerdings Aussagen des päpstlichen Chefdiplomaten, Kardinal Pietro Parolin, für Kritik von israelischer Seite gesorgt. Dieser hatte das Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen als „unverhältnismäßig“ verurteilt und von einem Blutbad gesprochen.
Ob Scholz und Franziskus wirklich über diese Themen reden, ist natürlich nicht sicher. Vielleicht spricht der Kanzler auch die kirchliche und gesellschaftliche Situation in Deutschland an – seine Berater dürften ihn auch dazu gebrieft haben – sowie das Erstarken der Rechten in Europa. Möglicherweise wird Scholz nach dem Treffen davon berichten. Der Vatikan wird vermutlich – wie in solchen Fällen üblich – nur verlauten lassen, dass sich die beiden getroffen haben.
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