Menschenrechtler kritisieren Verbot für französische Athletinnen
Nächste Woche beginnen in Paris die Olympischen Sommerspiele. Im Gegensatz zu früheren Gastgebern gilt Frankreich als ein Land, das die Menschenrechte achtet. Eine Besonderheit sorgt jedoch für massive Vorwürfe
Von Alexander Pitz (KNA)
Bonn/Paris (KNA) Nach der Fußball-EM ist vor den Olympischen Spielen. Millionen Sportfans in aller Welt freuen sich darauf, dass am 26. Juli das olympische Feuer in Paris entzündet wird. Aber ein eigentümlicher Streit trübt die Begeisterung. Mehrere Organisationen beklagen einen Verstoß gegen Menschenrechte. Amnesty International spricht gar von einer “rassistischen Diskriminierungskampagne”.
Doch worum geht es? Bei anderen großen Sportevents, etwa bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking, war die Menschenrechtslage im Gastgeberland offensichtlich problematisch. In Frankreich muss man indes genauer hinsehen. Amnesty konzentriert sich in einer am Dienstag veröffentlichten Analyse auf eine Besonderheit: die französischen Sportregeln zum Umgang mit dem muslimischen Kopftuch, auch
Hidschab genannt. Denn die sind im internationalen Vergleich ausgesprochen strikt.
Wesentlicher Grund ist die französische Verfassung. Schon 1905 wurden Staat und Religion per Gesetz getrennt. Seither gilt der Grundsatz der Laizität, den sich die Grande Nation im Geist der Aufklärung gegen den Einfluss der katholischen Kirche verordnet hat. Dieses Gebot religiöser Neutralität erfasst weite Teile des Gesellschaftlichen Lebens und gilt ebenso in Abgrenzung zum Islam. So kündigte Frankreichs Sportministerin Amelie Oudea-Castera vor einigen Monaten an, dass französische Athletinnen bei den Olympischen Spielen keinen Hidschab tragen dürfen. “Unsere Verfassung beinhaltet die religiöse Neutralität von Personen, die Frankreich und den öffentlichen Dienst repräsentieren”, so die Ministerin.
Dies gelte für jedes “offensichtliche Zeichen religiöser Zugehörigkeit”.
Das Verbot widerspricht klar dem inklusiven Geist Olympias, für den das Internationale Olympische Komitee (IOC) wirbt. Sportlerinnen wie die kopftuchtragende muslimische US-Fechterin Ibtihaj Muhammad, die bei den Sommerspielen 2016 in Rio Bronze im Teamwettbewerb gewann, sind für das IOC ein Vorbild. Spannungen mit dem laizistischen Gastgeber der Pariser Spiele sind daher programmiert. Im September erklärte ein IOC-Sprecher vorsorglich, dass im olympischen Dorf keine Einschränkungen für das Tragen religiöser Kopfbedeckungen vorgesehen seien. “Dort gelten die Regeln des IOC”, stellte er klar. Für nicht-französische Athletinnen hätten die Vorgaben des Sportministeriums in Paris ohnehin keine Relevanz.
Das Ergebnis ist eine Ungleichbehandlung französischer und nicht-französischer Sportlerinnen. Genau daran stören sich Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. “Das IOC bewirbt die Olympischen Spiele 2024 als großen Schritt zu Gleichstellung der Geschlechter”, sagt Amnesty Expertin Katharina Masoud. Dies werde durch das Kopftuchverbot für französische Teilnehmerinnen “völlig ad absurdum” geführt. “Frankreichs Behörden, Sportverbände und das IOC müssen das Hidschabverbot im französischen Sport aufheben – bei Olympia und allen anderen Sportereignissen”, so die Forderung.
Amnesty und andere Organisationen wie Human Rights Watch werfen Frankreich einen offenen Bruch olympischer Bestimmungen sowie internationaler Menschenrechtsverträge vor. Das Gebot der staatlichen Neutralität werde instrumentalisiert, um muslimische Frauen und Mädchen zu diskriminieren. Das weist Ministerin Oudea-Castera zurück und verweist auf Regel 50 der Olympischen Charta. Dort steht geschrieben: “Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt.” Doch ob das Tragen eines Kopftuchs tatsächlich als “religiöse Propaganda” zu werten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Das IOC vertritt in dieser Frage zwar eine liberale Auslegung, geht aber zugleich einer weiteren Konfrontation mit Frankreich aus dem Weg. Das Recht auf Religionsfreiheit werde von den verschiedenen Staaten eben unterschiedlich interpretiert, hieß es. Die olympische Bewegung sei dafür
nicht zuständig. Stattdessen müssten Politik und Gerichte die Angelegenheit klären. Das französische Kopftuchverbot bei Olympia wird demnach nicht angetastet.
Bleibt die Frage, wen die Regelung wirklich betrifft. Insgesamt nehmen rund 10.500 Athletinnen und Athleten an den Spielen in Paris teil. 571 gehen für Frankreich an den Start, darunter 282 Frauen. Ob eine der französischen Athletinnen einen Sport-Hidschab tragen will, ist nicht bekannt. Amnesty räumt ein, dass vermutlich auch ohne Verbot keine von ihnen mit Kopftuch antreten würde. Schuld daran seien “Frankreichs unerbittliche Angriffe auf die Menschenrechte von kopftuchtragenden muslimischen Frauen und Mädchen in den vergangenen Jahrzehnten”.
Unter ganz anderen Voraussetzungen reisen derweil jene elf Sportlerinnen nach Paris, die für die Islamische Republik Iran an den Wettbewerben teilnehmen. Sie müssen ein Kopftuch tragen, ob sie wollen oder nicht. Andernfalls setzen sie angesichts drakonischer Strafen in der Heimat ihre Gesundheit aufs Spiel – und die ihrer Familien.
© KNA
Bild: PublicDomainPictures auf Pixabay