Ein muslimischer Jeck wünscht sich gelebte Vielfalt
Der Karneval gibt sich weltoffen. Ist er es wirklich? Ein muslimischer Karnevalist betreibt in Düsseldorf närrische Integrationsarbeit – in diesem Jahr mit einer besonderen Herausforderung.
Von Nicola Trenz (KNA)
Düsseldorf (KNA) Für Ataman Yildirim fallen in diesem Jahr zwei ungleiche Termine zusammen. Für den Muslim startet Anfang März der Ramadan. Gleichzeitig läuft für den begeisterten Karnevalisten der Straßenkarneval. Feiern und Fasten gleichzeitig? Für Yildirim kein Widerspruch.
Beim Rosenmontagszug in Düsseldorf wird er auf einem Wagen mitfahren, feiern, in die Menge grüßen, Süßigkeiten werfen – und gleichzeitig fasten. “Ich werde einen knurrenden Magen haben, aber bei der lauten Musik wird das niemandem auffallen”, sagt er und lacht. “Ramadan heißt mit sich selbst und Gott im Einklang zu sein, aber Ramadan ist kein Grund, sich zu isolieren.” Er zitiert eine islamische Erzählung, wonach der Prophet Mohammed gefragt wurde, ob Allah es mehr schätze, in eine Höhle zu gehen und zu Gott zu beten – oder unter die Menschen zu gehen. “Mohammed sagt: Unter die Menschen gehen”.
Und so wird Yildirim gemeinsam mit Vertretern christlicher Kirchen, der jüdischen Gemeinde und anderen Muslimen auf dem “Toleranzwagen” beim Zug mitfahren. 2019 fuhr der Wagen erstmals mit. Das nicht gerade kostengünstige Projekt konnte auch dank Spenden nach der Corona-Pause wieder aufgenommen werden. Yildirim ist bei keiner muslimischen Gemeinde angedockt und sieht, wie er sagt, in allen Gotteshäusern ein Zuhause.
Der Sozialpädagoge ist so etwas wie ein närrischer Integrationsmanager. Er will nicht nur in seinem Arbeitsalltag Menschen in die deutsche Gesellschaft integrieren und ermutigen, aktiv ein Teil davon zu sein. Auch den Karneval möchte er vielfältiger machen. “Ich habe gemeinsam mit einem israelisch-jüdischen Freund überlegt, wie wir die Teilhabechancen wirklich aller Menschen im Blick haben können”, berichtet er.
Der Blick ging rheinabwärts nach Köln, wo es seit 2017 mit den “Kölsche Kippa Köpp” einen jüdischen Verein gibt. Und so gründete Yildirim vor fünf Jahren den Karnevalsverein “Orient-Okzident-Express”. Es ist der erste von Muslimen gegründete Verein der Landeshauptstadt, vermutlich auch weit darüber hinaus. Aber: “Der Verein ist offen für alle!”
Der 47-jährige Neusser, der in Düsseldorf arbeitet, kritisiert, dass viele Vereine für sich reklamierten, diskriminierungsfrei zu sein. “Die wenigsten sind es aber wirklich. Den Karneval dominieren die, die gesund sind, die etabliert sind, die es sich leisten können.” Yildirim wünscht sich, dass alle das Gefühl haben, dazu zu gehören. Er möchte daher mehr Sichtbarkeit schaffen für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, anderer Herkunft oder wenig Geld.
“Arme Menschen haben Sorge, dass sie auffallen, wenn sie kein Kostüm anhaben oder jedes Jahr das gleiche.” Dem Sozialpädagogen mangelt es nicht an praktischen Ideen: “Ich kenne Familien, die haben sechs oder sieben Kinder. Die reicheren Vereine könnten auch mal ein paar Familien eine Kostümausstattung finanzieren, etwa mit Gutscheinen eines Karnevalsshops. Oder sie bieten ein paar Karten für ihre Sitzungen an.”
“Orient-Okzident-Express” ist nicht mit lang etablierten Karnevalsgesellschaften zu vergleichen. Der Verein nimmt keine Mitgliedsbeiträge; alles läuft ehrenamtlich. “Wir haben keine Kapazitäten, das weiter aufzubauen und zum Beispiel eigene Sitzungen anzubieten”, sagt der Gründer. Stattdessen treffen sich die Mitglieder – und leben interreligiösen und interkulturellen Dialog.
Yildirim ist in Düsseldorf bekannt als “der muslimische Narr”. Er versteht sich als Netzwerker: “Für die muslimische Community ist es gut, einen Moslem zu haben, mit dem sie über ihre Hemmnisse beim Karneval sprechen können.”
Manche hätten Schwierigkeiten damit, weil sie den Karneval wegen des vielen Alkohols für “haram” halten, also sündig. “Gerade Geflüchtete erinnere ich daran, dass viele ja genau deshalb ihre Heimatländer verlassen haben, um hier in einer freieren Gesellschaft zu leben, in der auch Bier getrunken werden darf”. Das gehöre zu einer pluralen Gesellschaft dazu: sich gegenseitig zu akzeptieren. “Ich trinke selbst zum Beispiel nie Alkohol, das sollten andere akzeptieren. Gleichzeitig ist es für mich kein Problem, wenn andere trinken.”
“Deutschland ist ein wunderbares, buntes, weltoffenes Land, das auch so bleiben sollte” sagt der Karnevalsfreund mit türkischen Wurzeln. “Konflikte rund um Migration und Integration müssen wir benennen und nach Lösungen suchen. Aber bitte Lösungen, die konstruktiv sind und realistisch, nicht populistisch”, sagt Yildirim, der auch ehrenamtlich in einer SPD-Arbeitsgemeinschaft für Migration und Vielfalt mitwirkt.
Menschenfeindliche Positionen würden wieder salonfähig gemacht. “Deutschland ist eine Heimat von vielen. Mein Papa hat Deutschland genauso mit aufgebaut wie andere, als Bergmann im Ruhrgebiet. Jetzt vermitteln Politiker selbst Menschen, die hier geboren sind und einen deutschen Pass
haben: Du gehörst nicht dazu, bist Deutscher auf Bewährung.” Umso mehr müsse gelebte Vielfalt jetzt nach vorne gebracht werden – “auch im Karneval.”
Dass es dabei auch mal zu Diskussionen kommt, sieht Yildirim als gutes Zeichen von Integration und demokratischen Prozessen. “So lange Minderheiten wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte still mit am Tisch sitzen, gibt es zwar keine Probleme, aber Vielfalt ist auch nicht wirklich präsent”. Sobald sie aber mitgestalten wollten, eigene Ideen hätten, auch etwas verändern wollten, gebe es Reibungen. Das sei ganz normal – nicht zuletzt, weil es auch im Karneval um Macht, Geld, Einfluss gehe. “Wir sollten uns im Karneval und auch in der Gesellschaft ehrlich fragen, wie offen wir wirklich sind”.
Yildirim selbst hält im kleineren Rahmen manchmal Büttenreden. Er würde gerne mal Hoppeditz werden, sagt er, die Schelmenfigur im Düsseldorfer Karneval, die immer am 11.11. erwacht. Warum nicht Prinz Karneval? Er lacht: “Dann müsste der ja Karnevals-Sultan heißen.”
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