Berlin, 12. März 2025
Am 12. März hat der Bundespräsident am interreligiösen Fastenbrechen in der ältesten Moschee Deutschlands teilgenommen, der Berliner Moschee in Wilmersdorf, die auch ihr 100-jähriges Bestehen feierte. In seiner Rede betonte er: “Die Zeit des Ramadan ist geprägt von Besinnung, Vertiefung des Glaubens, von Freundlichkeit gegenüber dem Nächsten”.
Ganz herzlichen Dank für die Einladung hierher in Ihre Moschee. Ich freue mich, beim Fastenbrechen am Ende des heutigen Tages dabei zu sein. Ich freue mich besonders, dass wir miteinander ein interreligiöses Fastenbrechen halten, dass Menschen verschiedener religiöser Überzeugungen und Traditionen, heute hier gemeinsam feiern.
Das knüpft in gewisser Weise, so habe ich mir sagen lassen, an die besondere Geschichte dieser Moschee an, die in diesem Jahr, als älteste Moschee in Deutschland, ihren 100. Geburtstag feiert. So sind wir an einem sehr besonderen Ort. Schon ganz zu Anfang soll hier nicht nur ein reges religiöses Leben der Muslime, die sich dieses Gotteshaus gebaut hatten, stattgefunden haben. Vielmehr hören wir, dass schon damals ein ernsthafter Austausch von Muslimen und Nichtmuslimen ein besonderes Charakteristikum dieses Ortes gewesen ist.
Diese Suche nach Dialog war damals auch mitgeprägt von der geistigen Unruhe der Zwanzigerjahre und der intensiven Suche nach Neuorientierung nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges. Viele Glaubensrichtungen wurden und haben sich selbst ganz neu und radikal befragt. Dass alle Richtungen muslimischen Bekenntnisses hier einen Ort zum Gebet finden konnten, gehörte daher zum toleranten Geist dieser Dialogsuche, und bleibt bis heute ein Prinzip dieses Hauses.
Die Moschee in ihrer spezifischen Gestalt hier in Berlin-Wilmersdorf war von Anfang an architektonisch auffällig, eine Besonderheit, keine Allerweltsarchitektur und wurde deshalb bald zu einer auch touristischen Attraktion. Ich sage also zum Jubiläum meinen herzlichen Glückwunsch und freue mich darauf, dass gleich Frau Gerdien Jonker über die Geschichte der Moschee und ihrer Gemeinde berichten wird. Sie wird die hellen und beglückenden Zeiten sicher genauso betrachten, wie die dunklen und bedrückenden, die es in unserem Land in den letzten hundert Jahren reichlich gegeben hat.
Eine Religion besteht nicht nur aus Glaubensüberzeugungen, nicht nur aus Theologie und dem Nachdenken über Gott und die Welt und nicht nur aus ethischen Grundsätzen, die unser praktisches Handeln leiten sollen. Zur Religion – so kenne ich das als Christ ja auch – gehört auch, dass sie unser Leben, unsere Zeit strukturiert: der Tag, die Woche, das Jahr – all das bekommt in der Religion eine Struktur, einen Rhythmus, seinen eigenen Sinn.
So wird der Ablauf der Zeit selber mit Sinn aufgeladen. Die Zeit bekommt ein Muster, eine Gestalt. Sie ist nicht die gleichförmige Folge von Stunden, Tagen, Wochen und Monaten. Durch die religiöse Strukturierung der Zeit wird das ganze Leben in eine andere, über die alltägliche Welt hinausreichende Dimension gestellt. In der jüdischen Tradition ist das der Schabbat und Sie, die Musliminnen und Muslime, erfahren das ganz besonders im Ramadan, der Zeit des Fastens und des Gebetes. Hier ist jeder einzelne Tag geprägt vom Wechsel aus Fasten und Fastenbrechen und so bekommt jeder Tag im Ramadan seine ganz eigene, im Laufe des Jahres einmalige Struktur.
Auch als ganze ist die Zeit des Ramadan geprägt von Besinnung, Vertiefung des Glaubens, von Freundlichkeit gegenüber dem Nächsten, und als ganze strukturiert: vom Beginn an hin bis zum Höhepunkt des abschließenden Festes mit seinen verschiedenen Formen von großer Feierlichkeit und fröhlichem, gemeinsamem Feiern.
Als Christ kenne ich solche geprägten, auf einen Höhepunkt hin ausgerichteten Zeiten des Fastens und der Besinnung natürlich auch. Die Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch beginnt und Ostern endet – und besonders natürlich die Adventszeit, die auf das Weihnachtsfest zuläuft mit all seinem festlichen Glanz, mit Geschenken, Feiern und dem Wiedersehen mit Familie und Freunden.
Apropos Advent: Der Islam gehört zu Deutschland
hat einer meiner Vorgänger gesagt. Das lässt sich heute angesichts von fünfeinhalb Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland nicht ernsthaft bestreiten. Aber wie sehr der Islam inzwischen hier in Deutschland angekommen ist, stellt man manchmal an Kleinigkeiten fest: So ist zum Beispiel eine sehr deutsche Tradition, nämlich die des Adventskalenders, wie ich gehört habe, auch bei nicht wenigen muslimischen Kindern heute zu finden; natürlich in anderer Gestalt, nämlich als Ramadan-Kalender. Aber ähnlich wie im Advent gibt es kleine Überraschungen darin – und die Kinder lernen sehr spielerisch, wie die Zeit gezählt ist und wie gewisse Tage eben eine besondere Bedeutung haben und nicht jeder Tag wie der andere ist.
An vielen Orten, wie eben auch hier in der Wilmersdorfer Moschee, werden nichtmuslimische Nachbarn, Freundinnen und Freunde oder auch Schulkameraden der Kinder zum gemeinschaftlichen Iftar-Essen eingeladen.
Das ist mehr als nur eine schöne Geste – das ist für unser gesellschaftliches Zusammenleben von allergrößter Bedeutung. Niemand nimmt seinem eigenen Glauben etwas weg, wenn er solche Einladungen ausspricht, und niemand nimmt seinem eigenen Glauben etwas weg, wenn er solche Einladungen annimmt.
Ich kann nur alle dazu ermuntern, es gleichzutun. Bringen wir zum Ausdruck, dass wir auch andere Wege des Glaubens und der Vorstellung vom Göttlichen respektieren. Und tragen wir so zu dem bei, von dem die Gläubigen aller Religionen träumen und wonach sie sich sehnen: zum Frieden.
Vielen Dank für die Einladung!
© 2025 Bundespräsidialamt