Liebe Leserinnen und Leser,
„Krieg ist Wahnsinn“, sagte Papst Franziskus in Hinblick auf die hochgefährliche Situation in der Ukraine. Er führte weiter aus: „Ströme von Blut und Tränen fließen in der Ukraine. Es handelt sich nicht nur um eine Militäroperation, sondern um einen Krieg, der Tod, Zerstörung und Elend mit sich bringt. Die Zahl der Opfer steigt, ebenso wie die Zahl der Menschen, die fliehen, insbesondere Mütter und Kinder.“ Angesichts dieser dramatischen Lage ist es verheerend, wenn sich religiöse Führer wie der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche Kyrill I. an der Kriegspropaganda beteiligen! Religionen müssten aus ihrem Selbstverständnis heraus zum Frieden beitragen und nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Genau in diesem Sinn ist auch der multireligiöse Friedensappell von Religions for Peace zu verstehen, den wir in diesem Heft dokumentieren und in dem es heißt: „Wir beten für unsere Brüder und Schwestern in der Russisch Orthodoxen Kirche, dem Ukrainischen Rat der Kirchen und der religiösen Organisationen (UCCRO), dem Interreligiösen Rat in Russland (ICR), für die Gläubigen in ihren religiösen Denominationen und für die Menschen in jeder Religion in dieser Region und rufen sie auf, sich den fundamentalen Sinn und die Natur der Religionen zu vergegenwärtigen und aufzustehen und einzutreten für den Frieden.“ Gerade in diesen Krisenzeiten sollten sich die Wirkmacht und Bemühungen der Religionen für Frieden und Verständigung zeigen, damit unsere Welt ein Stück lebensfreundlicher wird.
Das ukrainische Volk muss nun auch unter dem Krieg und seinen Folgen leiden, wie es die Menschen schon seit Jahren im Jemen, im Irak sowie in Libyen und Syrien etc. tun. Wer sich vergegenwärtigen möchte, was Misswirtschaft und Despotie, gepaart mit radikalen Ideologien und unfähigen Politikern, anstellt, dem sei der Beitrag von Rainer Hermann in diesem Heft anempfohlen. Er zeichnet die Entwicklungen der letzten Jahre in der Region des Nahen Ostens nach und zeigt, welche Gefahren drohen, wenn nicht dagegen angesteuert wird. Hermann veranschaulicht durch seine treffende und scharfsinnige Analyse, dass die Konflikte dort auch uns in Europa betreffen. Die Brisanz der Konflikte tritt noch einmal deutlicher vor Augen, wenn wir nach Frankreich blicken. Die dort geführte Kontroverse zwischen Olivier Roy und Gilles Kepel über die Wurzel des islamistischen Terrors, unter dem nicht nur Frankreich seit Jahren leidet, fasst Dirk Ansorge pointiert zusammen. Dass die Veränderungen auf der arabischen Halbinsel nicht nur politisch sind, sondern auch islamisch-theologisch beachtenswert, stellt der Beitrag von Chiara Pellegrino dar.
In diesen von Kriegen und Pandemie geplagten Zeiten finde ich die mahnenden Worte des heiligen Paulus bedeutsam: „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun; denn, wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Deshalb lasst uns, solange wir Zeit haben, allen Menschen Gutes tun“ (Gal 6,9–10a). Wer diesen Rat beherzigt, handelt nach dem Gebot der Nächstenliebe und stellt sich in den Dienst des Friedens und der Versöhnung. Mögen diese Worte des heiligen Paulus uns stets an das Wesentliche im Leben erinnern.
Zu guter Letzt noch eine erfreuliche Nachricht in eigener Sache. Wir konnten Dr. Frank van der Velden als neues Mitglied für den Redaktionsbeirat gewinnen. Sein Fachwissen und seine langjährige Dialogerfahrung werden in Zukunft die Redaktion bereichern. An dieser Stelle danken wir für sein ehrenamtliches Engagement und freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit.
Ihnen eine anregende und interessante Lektüre dieses Heftes!
Ihr Timo Güzelmansur
Inhalt
Studien
„Radikalisierter Islam“ oder „Islamisierung der Radikalität“?
Zur Kontroverse zwischen Olivier Roy und Gilles Kepel über die Wurzeln des islamistischen Terrorismus in Frankreich
Dirk Ansorge
Achse des Scheiterns. Wie der Nahe Osten näher an Europa rückt
Rainer Hermann
Saudi Vision 2030 und die aḥādīṯ mutawātira: eine unerwartete Kombination
Chiara Pellegrino
Dokumentation
Auszüge der Ansprache von Papst Franziskusan das beim Heiligen Stuhl akkreditiertediplomatische Korps
Vatikanstadt, 10. Januar 2022
Videobotschaft von Papst Franziskus zum zweiten Internationalen Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen
Vatikanstadt, 4. Februar 2022
Erklärung zum Ukraine-Konfliktvon Religions for Peace
New York, 28. Februar 2022
Berichte
„Angesichts des Todes – Christliche und muslimische Perspektiven für die Seelsorge“. Dritte christlich-muslimische Seelsorgetagung in Haus Villigst, Schwerte,28.10.2021
Benedikt Körner, Ralf Lange-Sonntag, Ali Tașbaș und Helga Wemhöner
Christlich-Islamische Beziehungen im europäischen Kontext. Bericht zur Studienwoche der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Eugen-Biser-Stiftung in Weingarten, 26.9.2021–1.10.2021
Katharina Stefaniw und Büşra Tekeli
Buchbesprechungen
Dziri, Amir/Hilsebein, Angelika/ Khorchide, Mouhanad/Schmies, Bernd (Hg.): Der Sultan und der Heilige. Islamisch-christliche Perspektiven auf die Begegnung des Hl. Franziskus mit Sultan al-Kamil (1219–2019)
Frank van der Velden
Ghadban, Ralph: Allahs mutige Kritiker. Die unterdrückte Wahrheit über den Islam
Christian W. Troll SJ
Schlerka, Sebastian: Islamdebatten im Deutschen Bundestag 1990–2009. Eine Habitusanalyse zur Formierungsphase deutscher Islampolitik
Sebastian Prinz