Vielfältig verwobene Wurzeln – Der Orientalist Daniel Gerlach zeigt die gemeinsamen Wurzeln von Christen, Juden und Muslimen auf. Das geht nicht ohne Eitelkeit vonstatten, ist aber sehr informativ und vermittelt eine tiefe Faszination für die Region.
Von Katharina Zeckau (KNA)
Berlin (KNA) Erstaunlich, dass es der Menschheit immer wieder gelingt, sich im Namen der Religionen zu bekriegen. Vor allem die drei monotheistischen Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam taten und tun sich hier hervor. Was besonders abwegig erscheint angesichts der Tatsache, dass sie durch viele Mythen und Legenden miteinander verbunden sind. Und alle drei blicken auf vielfältige und miteinander verwobene Wurzeln im Nahen Osten zurück.
Der Orientalist Daniel Gerlach macht es sich in der Doku “Der Orient – Wiege des Christentums” zur Aufgabe, die äußerst diverse Religionslandschaft des Orients aus Gegenwart und Vergangenheit zu präsentieren. Arte strahlt den Film am 11. Juni von 20.15 bis 21.45 Uhr aus.
Beispiele für die gemeinsame Herkunft, die häufig aus einem Neben- und Miteinander verschiedenster Kulturen und Religionsgemeinschaften erwuchsen, finden sich viele: Da wären etwa die Heiligenlegende von den “Sieben Schläfern”, die es im Islam und bei den Christen gibt. Oder die Darstellung der Isis mit dem Horusknaben an der Brust aus der ägyptischen Mythologie, die frappierend an die das Jesuskind stillende Gottesmutter im Christentum erinnert. Gerlach, der als Host und Experte kundig durch den Film und zu unzähligen Orten, Religionsgemeinschaften und Geschichten führt, zeigt zahlreiche solcher Verbindungen auf.
Dafür reist er nach Ägypten, Jordanien, Palästina, Tunesien, in den Irak, den Libanon, die Türkei. Er trifft Drusen, Sufis, Kopten, Marsch-Araber, Mandäer, Zoroastrier, Schiiten, Sunniten, chaldäische Christen, Jesiden und christliche Berber. Gerlach ist bei religiösen Festen zugegen, auf Basaren, in Moscheen, Kirchen und bei Flusstaufen, klettert auf Ruinen, reitet durch Schluchten, besucht vom IS zerstörte Kultstätten. Dabei trägt er mal seriösen Anzug, mal helle Leinenkleidung, mal eine bunt bestickte Kappe, mal ein Palästinensertuch um den Hals – und oft auch einen an Indiana Jones erinnernden Hut.
Er trifft Prinzessinnen und Prinzen, schiitische Gelehrte, den koptischen Papst, zoroastrische Priester, das Oberhaupt der Mandäer und Archäologinnen. Mit ihnen, von denen nicht wenige seine “Freunde” sind, parliert er souverän auf Arabisch, Französisch oder Englisch. Zudem präsentiert er so eloquent wie verständlich lange historische, politische oder religiöse Exkurse, während um ihn herum das Leben des Nahen Ostens tobt.
Gerlach ist also fraglos ein talentierter, kluger und fotogener Host, und auf dem Gebiet von Historie und Kulturen des Nahen Ostens offensichtlich enorm bewandert. Friedrich Klütsch und Katrin Sandmann, die Regisseure von “Der Orient – Wiege des Christentums”, übertreiben es jedoch ein wenig mit dem starken Zuschnitt auf ihre zentrale Figur. Gerlach wird, unterstützt von reichlich eingesetzter pathetischer Musik, so penetrant als supergelehrter Alleskönner präsentiert, dass es oft eitel wirkt. Etwas seltenere Aufnahmen des Orientalisten beim dekorativen Sinnieren und alte Schriften studieren hätten dem in mehrfacher Hinsicht leicht überladenen Film gutgetan. Auch wären ein paar Regieeinfälle weniger klar mehr gewesen: Der Film zielt mit Effekten und einer abwechslungsreichen Bildebene recht deutlich in Richtung Infotainment, was an sich völlig legitim ist, gelegentlich aber auch alberne Szenen kreiert. Dass die Doku offenbar ein recht üppiges Budget zur Verfügung hatte, sieht man den zahllosen Schauplätzen und hochwertigen Bildern an. Einzig bei der einfallslosen Musik und der eher unübersichtlichen Grafik scheint man gespart zu haben.
Allerdings: Man erfährt unglaublich viel über die Welt des Orients, erhält ungeahnte Einblicke in – teils dann doch gar nicht so – fremde, vielfältige Kulturen und Religionen, und kann die tiefe Faszination, die der Nahost-Experte Gerlach sehr offensichtlich für diese Weltgegend und ihre Menschen empfindet, absolut nachempfinden. Und das ist ja schon sehr viel – das muss man erst einmal schaffen.
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Beitragsbild: Dominik Becker