Liebe Leserinnen und Leser,
es hat 33 Jahre gedauert, bis die von Ayatollah Khomeini gegen den Schriftsteller und Autor Salman Rushdie ausgestellte Todes-Fatwa ihre fatale Wirkung zeigte. Am 12. August zeigte sich der Islamismus erneut, diesmal in einer schiitisch motivierten Messerattacke eines jungen Mannes auf Rushdie bei einem Auftritt in den USA. Im Hintergrund dieser abscheulichen Tat steht der 1988 veröffentlichte Roman „Die satanischen Verse“ des britisch-indischen Autors. Grundlage für das Todesurteil sind die in einigen Kapiteln aufgegriffenen Episoden aus dem Leben des islamischen Propheten Muhammad. Seit 33 Jahren wurden immer wieder Menschen angegriffen und getötet, die in Verbindung mit diesem Roman standen: u .a. wurden der japanische Übersetzer Hitoshi Igarashi 1991 getötet und Aziz Nesin, der Auszüge in türkischer Übersetzung herausgebracht hatte, überlebte 1993 einen Anschlag nur knapp. Diese schändlichen Taten machen deutlich, dass der Islamismus eine ernsthafte Bedrohung ist und
dass noch mehr über die ideologischen, religiösen und politischen Hintergründe und Nährböden, die sein Wachsen und Gedeihen begünstigen, geforscht werden muss. Vor dies em Hintergrund ist es verwunderlich, dass das BMI den Expertenkreis politischer Islamismus nicht fortführen möchte.
Auch wenn die oben angesprochenen Ereignisse Auswirkungen auf den interreligiösen Dialog haben, hat der Vatikan seit 1964 eine Instanz geschaffen, um den Dialog mit den anderen Religionen voranzutreiben. Der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog wurde am 19. März diesen Jahres im Zuge der vatikanischen Kurienreform in „Dikasterium für den interreligiösen Dialog“ (DID) umbenannt. Damit gehen eine Aufwertung und Gleichstellung mit den anderen 15 Dikasterien einher. In den Artikeln 147–152 des Dekrets „Predicate evangelium“ wird die Aufgabe des DID beschrieben: „Das Dikasterium setzt sich dafür ein, dass der Dialog mit den Anhängern anderer Religionen in angemessener Weise und in einer Haltung des Zuhörens, der Wertschätzung und des Respekts geführt wird. Es pflegt verschiedene Formen von Beziehungen zu ihnen, damit durch den Beitrag aller Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Schutz und Bewahrung der Schöpfung sowie die geistigen und moralischen Werte gefördert werden können“ (Art. 148). Somit bekräftigt die Kirche ihren Willen, den interreligiösen Dialog entschieden weiterzuführen, wie es Papst Franziskus in seiner in dieser Ausgabe dokumentierten Ansprache an die Vollversammlung des DID nochmals bekräftigte.
Annemarie Schimmel (1922–2003) widmete einen Großteil ihres Lebens der Erforschung der mystischen Traditionen des Islam und hinterließ eine beachtliche Ansammlung von Texten unterschiedlicher Gattungen. Im vorliegenden Heft blickt Christof Kruck anlässlich ihres 100. Geburtstags auf das Lebenswerk der prägenden Islamwissenschaftlerin zurück und fragt, welche Impulse von ihr für das interreligiöse Gespräch heute ausgehen können. Sina Gögen präsentiert einen Ausschnitt der Ergebnisse ihres Dissertationsprojekts zum Thema „der türkische Staatsislam seit 2002. Die Entwicklung der Diyanet-Behörde im Spiegel ihrer Zeitschrift“. Professor Manfred Riegger reflektiert das Potenzial des Lernorts Moschee in der interreligiösen Erwachsenbildung gemeinsam mit Gönül Yerli und Sigrid Albrecht vor dem Hintergrund ihrer prägenden Begegnung während eines Moscheebesuches. Gelebte interreligiöse Erfahrungen können Spaltungen überwinden, helfen, Freunde zu werden, miteinander geschwisterlich umzugehen und für Frieden zu arbeiten. Vielleicht kann der ein oder andere Text dieser Ausgabe dazu inspirieren.
In diesem Sinne eine gute Lektüre.
Ihr Timo Güzelmansur
INHALT
Studien
Der türkische Staatsislam seit 2002 –
die Entwicklung des Diyanet-Präsidiums
im Spiegel seiner Zeitschrift
Sina Gögen
Annemarie Schimmel (1922–2003).
Ihr Leben und Beitrag zum interreligiösen Dialog
Christoph Kruck
Wer bin ich – und wenn ja, mit wie viel Religion?
Deutungsmusterbezogene interreligiöse Bildung der Vielfalt in einer Moschee
Manfred Riegger, Gönül Yerli und Sigrid Albrecht
Dokumentation
Ansprache von Papst Franziskus
an die Teilnehmer der Vollversammlung für den Interreligiösen Dialog
Vatikanstadt, 6. Juni 2022
Aufruf zu interreligiösen Beziehungen.
Lambeth-Call zur Vollversammlung der Anglikanischen Kirche
London, 4. August 2022
Grußbotschaft des Vorsitzenden der DBK
zum Muharrem-Fasten und Aşure-Fest 2022
Bonn, 29. Juli 2022
Fellbacher Erklärung
über den Zusammenhalt im Religionsunterricht
Fellbach, 31. Mai 2022
Berichte
Horizonte politischer Bildung in religiös-konfessioneller Trägerschaft.
Fachtagung der Muslimischen Akademie Heidelberg i.G. und der Eugen-Biser-Stiftung
in Kooperation mit der bpb, München, 9.–11. Mai 2022
Hacı-Halil Uslucan
Islamischer Religionsunterricht: Erfahrungen – Desiderate – Zukunft.
Internationales Symposium „40 Jahre islamischer Religionsunterricht in Österreich“,
Wien, 20.–21. Mai 2022
Şenol Yağdı und Tamara Nili-Freudenschuß
Ahmadiyya in Deutschland – Gesellschaft gemeinsam gestalten.
Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart,
Stuttgart, 27. Juni 2022
Anna Berger
Brühler Initiative „Christen begegnen Muslimen, Muslime begegnen Christen“.
Reflexion eines Dialogs an der Basis
Werner Höbsch
Buchbesprechungen
Karakoç, Betül/Behr, Harry Harun (Hg.):
Moschee 2.0. Internationale und transdisziplinäre Perspektiven
Timo Güzelmansur
Thörner, Marc: Rechtspopulismus und Dschihad.
Berichte von einer unheimlichen Allianz
Sebastian Prinz