Caritas-Direktor Stegemann über Migranten in Marokko. “Nicht alle wollen nach Europa”. Von Christoph Schmidt (KNA).
Rabat (KNA) Am 30. und 31. März besucht Papst Franziskus Marokko. In der Hauptstadt Rabat macht er auch Halt bei der örtlichen Caritas-Station, die sich vor allem um afrikanische Migranten kümmert. Über deren oft schwierige Situation und die Rolle des Christentums in Marokko berichtet der diözesane Caritas-Direktor Hannes Stegemann im Interview der Katholischen NachrichtenAgentur (KNA).
KNA: Herr Stegemann, Papstbesuche bei Flüchtlingen und Migranten gab es schon viele. Welche neuen Impulse kann Franziskus da noch setzen?
Stegemann: Marokko liegt an der Nahtstelle zwischen Europa und Afrika und ist inzwischen das wichtigste Anlaufziel für Migranten, seit Italien die zentrale Mittelmeerroute dichtgemacht hat. Da liegt es nah, dass der Papst gerade hier noch einmal die reichen Länder dazu aufruft, mit dem Süden zu teilen. Außerdem könnte es sein, dass er mit Blick auf die Europawahl ganz gezielt die EUFlüchtlingspolitik kritisiert, die immer stärker auf Abschottung setzt.
KNA: Die Caritas ist in mehreren marokkanischen Städten präsent. Worin besteht Ihre Arbeit?
Stegemann: In unsere Betreuungszentren kommen Migranten, die sich in einer Notlage befinden. Bei uns kriegen sie Nahrung, Decken, medizinische Hilfe, aber auch juristische Unterstützung, wenn sie Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus haben. In Marokko leben schätzungsweise 50.000 illegale Migranten, die sich mit ihren Problemen schlecht an die Behörden wenden können. Insgesamt betreuen wir übers Jahr landesweit mehr als 8.000 Menschen, die meisten aus schwarzafrikanischen Ländern. In den letzten Jahren sind immer mehr besonders verletzliche Gruppen wie Schwangere, Frauen mit kleinen Kindern und minderjährige Unbegleitete ins Land gekommen. Es hat sich herumgesprochen, dass sie nicht abgeschoben werden, wenn sie es nach Europa schaffen.
KNA: Also erst einmal die Sperranlagen zu den spanischen Exklaven oder die Straße von Gibraltar überwinden. Versucht Marokko, sie daran zu hindern?
Stegemann: Die Marokkaner dürfen die Menschen völkerrechtlich streng genommen nicht an der Durchreise hindern, wenn sie einmal im Land sind. Sie sehen die Spanier in der Pflicht, ihre eigenen Grenzen zu schützen. Allerdings will die Regierung gute nachbarschaftliche Beziehungen mit Europa und bekommt zugleich Geld von Spanien und der EU, um den Zustrom von Afrikanern zu begrenzen. Mit Madrid bestehen zum Beispiel Abkommen, dass Marokko Zuwanderer zurücknimmt, die mit Gewalt die Grenze überwinden und Polizisten angreifen. Diese Leute werden dann in Marokko inhaftiert oder direkt in ihre Heimatländer zurückgeschickt.
Marokko ist aber nicht nur Transitland, sondern inzwischen selber auch Zielland für Migranten aus dem subsaharischen Afrika. Denn verglichen mit Ländern wie Mali, Senegal, Elfenbeinküste oder Guinea ist das Königreich viel weiter entwickelt. Für Westafrikaner ist es ein Sprung in die bessere Welt, viele sagen sich: “Erstmal nach Marokko und dann sehen wir weiter.” Allerdings treffen sie hier auf eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, weshalb viele junge Marokkaner selbst den Wunsch haben, nach Europa auszuwandern.
KNA: Der Papst will in Marokko, wo der Islam Staatsreligion ist, auch der kleinen christlichen Gemeinde den Rücken stärken. Wie ist dort die Situation der Kirche?
Stegemann: Sie ist stark geprägt von der Migration. Die meisten Katholiken oder evangelikalen Christen sind Schwarzafrikaner. In der Kathedrale von Rabat sitzen sonntags 600 Schwarze und vielleicht 15 Europäer. Unseren Glauben können wir frei ausüben. Probleme mit den Behörden gibt es nur, wenn Christen versuchen, Muslime zu missionieren. Konversionen von Muslimen sind praktisch nicht zulässig. Die Kirche hält sich daran und wirbt nicht offensiv für ihren Glauben.
KNA: Wie nimmt die muslimische Gesellschaft die Kirche und ihre Arbeit wahr?
Stegemann: In den Städten funktioniert das interreligiöse Zusammenleben meist sehr gut. Das erkennt man auch daran, dass mehr als die Hälfte der Caritas-Mitarbeiter einheimische Muslime sind. Wir arbeiten auch mit marokkanischen Partnern zusammen, zum Beispiel in einem Projekt der Behindertenfürsorge.
Auf dem Land wird die Kirche eher ablehnend gesehen. Da heißt es dann: “Was wollt ihr hier? Wir sind eine muslimische Gesellschaft?” Allerdings gibt es in ländlichen Gebieten ja gar keine Christen mehr, da sind wir auch als Caritas fast gar nicht aktiv.
KNA: In einem abgelegenen Landesteil wurden kurz vor Weihnachten zwei skandinavische Touristinnen angeblich von IS-Sympathisanten enthauptet. Wie stark ist der islamistische Extremismus in Marokko?
Stegemann: Der marokkanische Islam ist traditionell sehr tolerant. Nach den Morden an den beiden
Frauen war die Gesellschaft extrem schockiert. Es gab viele Solidaritätsbekundungen mit dem Tenor: “So sind wir nicht”. Die dominierende malikitische Rechtsschule grenzt sich stark ab von den radikalen salafistischen und wahhabitischen Strömungen, die seit 20 bis 30 Jahren aus SaudiArabien in ganz Nordafrika importiert werden. Auch König Mohammed VI. engagiert sich stark dagegen. Zunehmenden Extremismus beobachte ich deshalb nicht. Allerdings gewinnen konservativislamische Kräfte bei Wahlen mehr Stimmen. Das liegt aber nicht an antichristlichen Ressentiments, sondern an den Wählern, an denen die Modernisierung des Landes vorbeigegangen ist und die sich als Verlierer sehen. Sie hoffen auf mehr Gerechtigkeit durch die Religion.
(KNA - tknln-89-00226) Foto: Pixabay