“Unterricht und Erziehung benötigen offene Kommunikation”. Von Christoph Arens (KNA).
Bonn (KNA) Mehrere Bundesländer planen Gesetze, um eine Vollverschleierung von Schülerinnen zu verbieten. Auch im Bereich der Hochschulen gibt es Regelungsbedarf. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Fakten zu der Debatte.
Was bedeutet Vollverschleierung?
Zur Vollverschleierung zählen laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags der Nikab und die Burka. Deshalb ist auch oft von einem Burka-Verbot die Rede. Ein Nikab ist ein kopfbedeckender Gesichtsschleier mit schmalem Augenschlitz; er besteht meist aus schwarzer Seide, Baumwolle oder Kunstfaser und wird in Verbindung mit einem Tschador oder einem anderen, meist schwarzen Gewand getragen. Werden die Augen vollständig bedeckt, bezeichnet man das
Kleidungsstück als Burka (Ganzkörperschleier). Die Burka wird insbesondere von muslimischen Frauen in Afghanistan, Ägypten, Pakistan, Saudi-Arabien und dem Irak getragen und ist ein den ganzen Körper bedeckender Umhang mit einem Einsatz aus Netzgewebe für die Augen. Davon zu unterscheiden ist die Debatte über das Kopftuch, das das Gesicht frei lässt und deshalb die offene Kommunikation nicht behindert.
Wie sieht die rechtliche Situation in Deutschland insgesamt aus?
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages veröffentlichte 2012 ein Gutachten, wonach in Deutschland ein generelles Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum wegen des Schutzes der Religionsfreiheit verfassungswidrig wäre. Seit 2017 ist es zumindest im Straßenverkehr verboten, das Gesicht zu verhüllen oder zu verdecken. Auch besteht seit 1985 ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen.
Als Reaktion auf das sogenannte Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003 haben mehrere Bundesländer Regelungen hinsichtlich des Tragens religiöser Symbole in staatlichen Einrichtungen erlassen. Sie gelten allerdings nur für die Träger eines öffentlichen Amtes – und teilweise auch für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes – etwa bei Lehrkräften, in Kindergärten oder vor Gericht. Mit Blick auf Schüler und Studenten hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof 2014 entschieden, dass ein Verbot, während des Unterrichts an einer Berufsoberschule einen gesichtsverhüllenden Schleier zu tragen, das Recht einer Schülerin auf freie Religionsausübung nicht in unzulässiger Weise begrenzt.
Warum gibt es derzeit eine neue Debatte um die Vollverschleierung an Schulen und Hochschulen?
Anfang Februar entschied das Oberlandesgericht in Hamburg, dass eine 16 Jahre alte Berufsschülerin weiterhin mit Vollverschleierung in den Unterricht gehen darf. Für ein Verbot gebe es keine gesetzliche Grundlage, hieß es. Schulsenator Ties Rabe (SPD) kündigte daraufhin an, das Hamburger Schulgesetz zu ändern, um die Vollverschleierung zu verbieten. Zuvor hatte sich ein ähnlicher Streit auch an einer muslimischen Studentin der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) entzündet. Die Hochschule hatte ihr eine Vollverschleierung in Lehrveranstaltungen verboten. Die Studentin kam trotzdem immer wieder auch verschleiert zu Veranstaltungen. Die Uni bat das Land deshalb, eine Regelung zu schaffen, die ein Verbot möglich machen würde.
Wie reagieren die Bundesländer auf die Entscheidung?
Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kündigten unmittelbar danach an, ein Verbot der Vollverschleierung ins Schulgesetz aufzunehmen. Unterschiedlich sind die Aussagen aber in Bezug auf ein Verbot der Vollverschleierung an Hochschulen. Rheinland-Pfalz plant auf Nachfrage der KNA hier keine Initiative. In Schleswig-Holstein hieß es dazu, es müsse auch begrenzte Regeln für die Hochschulen geben. Das gelte etwa “zur Identitätsfeststellung für Prüfungen und Einschreibungen”, hieß es einschränkend.
Gibt es bereits Bundesländer, in denen Verbote rechtlich geregelt sind?
Der Bayerische Landtag hat bereits 2017 ein Gesetz verabschiedet, dass Schülerinnen eine Gesichtsverhüllung ausdrücklich verbietet. Auch im Bayerischen Hochschulgesetz heißt es, Mitgliedern der Hochschule sei in Hochschuleinrichtungen und bei Hochschulveranstaltungen verboten, das Gesicht zu verhüllen. Zur “Vermeidung einer unbilligen Härte” kann die Hochschule Ausnahmen zulassen. Auch an hessischen Schulen ist die Vollverschleierung nach Darstellung des zuständigen Ministeriums nicht erlaubt. Mit Bezug auf Hochschulen verweisen etwa Hamburg und Niedersachsen auf die Kompetenz der Hochschulen.
Wie argumentieren die Gegner der Vollverschleierung?
Bayerns Kultusminister Michael Piazolo argumentiert, dass Unterricht und Erziehung offene Kommunikation benötigten. Lehrer und Schüler müssten einander ins Gesicht schauen können. Auch im Bayerischen Hochschulgesetz heißt es, die Bildung lebe vom offenen Wissens- und Meinungsaustausch. Er ereigne sich nicht nur über das Reden und Zuhören, sondern auch über Mimik und Gestik.
Welche Bedenken bestehen gegen ein Verbot?
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die sich grundsätzlich gegen eine Vollverschleierung ausspricht, verwies am Wochenende darauf, dass Religionsfreiheit in Deutschland ein hohes rechtliches Gut sei. Und das Tragen von bestimmter Kleidung könne ein Ausdruck des Glaubens sein. Auch der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck sieht große rechtliche Hürden für ein Verbot – auch wenn Nikab und Burka aus seiner Sicht ein Symbol für die Unterdrückung von Frauen sind. Denkbar seien aber zumindest eingeschränkte Verbote.
Wie sieht die Rechtslage in europäischen Ländern aus?
In den meisten Ländern der EU besteht kein generelles Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen
Raum. Landesweite Verbote existieren etwa in Frankreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark und Österreich. In den Niederlanden trat 2019 ein eingeschränktes Verhüllungsverbot in Kraft: Es gilt etwa für Ämter, Krankenhäuser und den öffentlichen Nahverkehr.
2014 bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das in Frankreich bestehende Verbot. 2017 billigte der Gerichtshof auch das in Belgien geltende Verbot. Nikab und Burka dürfen nach Auffassung des Menschenrechtsgerichtshofs in der Öffentlichkeit verboten werden, weil sie das Zusammenleben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft stören.
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