Keine raschen Ergebnisse, sondern: “Eine Generationenaufgabe”
Paris, Nizza, Dresden, Wien: Die jüngsten Anschläge erschütterten Europa. Am Freitag diskutierten internationale Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Praxis über die Frage nach dem Warum – und über Gegenstrategien.
Von Leticia Witte (KNA)
Bonn (KNA) Wie konnte das passieren? Das ist eine Frage, die nach islamistisch motivierten Anschlägen immer wieder aufkommt. Denn Sicherheitsbehörden hatten einige der Angreifer durchaus auf dem Schirm – und trotzdem konnten sie zur tödlichen Tat schreiten, wie zuletzt in Wien. Eine Antwort auf die Frage ist aus Expertensicht: Die grenzübergreifende Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von islamistisch motiviertem Terror reicht nicht aus. Darin waren sich Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Praxis am Freitag in einer Online-Debatte einig. Sie lenkten den Blick zusätzlich auf damit zusammenhängende Themen wie Prävention und Integration.
Auch wenn oft Frankreich im Fokus von Angriffen gestanden habe, handele es sich um kein spezifisch französisches Problem, sagte der ehemalige Premierminister von Frankreich, Manuel Valls. Das Land sei laizistisch und republikanisch ausgerichtet und könne daher eine Zielscheibe sein – allerdings habe es Anschläge dieser Art auch in anderen Staaten Europas und darüber hinaus gegeben. Dies seien Angriffe auf Europa, auf eine Kultur der Demokratie und Toleranz. Valls sprach gar von einem “Kulturkampf”.
Der in Deutschland lebende Psychologe und Islamexperte Ahmad Mansour gab zu bedenken: “Natürlich kann man im Nachhinein immer sagen, wir haben etwas verpasst.” Er betonte zugleich, dass Politik und Gesellschaft in den vergangenen Jahren viel dazugelernt hätten, was Prävention und Sicherheit angehe. Es fehle jedoch eine tragfähige europäische und globale Zusammenarbeit. Schwachstellen würden immer wieder offenbar, und daher müsse der Informationsfluss zwischen Behörden wie Polizei, Geheimdiensten und der Justiz besser werden.
Ähnlich äußerten sich die Terrorismusforscherin Julia Ebner, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), die österreichische Bundesministerin für Frauen und Integration, Susanne Raab, sowie Rehman Chishti, Mitglied des britischen Unterhauses, die ebenfalls an der Debatte teilnahmen, während Raab eine Videobotschaft überbrachte.
Mansour wies darauf hin, dass die Präventionsarbeit in Europa wegen der Verschiedenheit der anzusprechenden Gruppen sehr unterschiedlich verlaufe. Die Arbeit an Schulen müsse vor allem an Demokratieerziehung, Mündigkeit, an der Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen und Erziehungsmethoden sowie am Vorgehen gegen Antisemitismus ansetzen. Es sei zudem wichtig, dass Präventionsarbeit einen Standard halte und von Experten betrieben werde. Ebner sagte, dass Bildung, Integration und Identitätsprobleme zentrale Punkte seien. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass sich Menschen in Gefängnissen radikalisierten.
In Deutschland brauche es ein Konzept für den Umgang mit Rückkehrern aus den Reihen der Terrormiliz “Islamischer Staat”, forderte Mansour. Die Deradikalisierung müsse verbessert werden – das Problem: “Es gibt keinen nationalen Plan dafür.” Fest steht nach den Worten Mansours jedenfalls, dass die Gesellschaft verloren hat, wenn man erst dann handelt, wenn Menschen bereits zu Terroristen geworden sind. Man müsse stattdessen bei den “geistigen Brandstiftern” ansetzen, damit eine Distanz zur Demokratie gar nicht erst aufkomme. Denn Menschen müsse ermöglicht werden, sich gleichzeitig als Muslime und als Demokraten zu verstehen.
Um vorhandene Probleme zu lösen, seien sowohl Regierungen als auch muslimische Gemeinschaften gefragt, betonte Mansour. Ansprechpartner dürften nicht nur vom Ausland beeinflusste Verbände sein. Sie hätten ihre “Berechtigung”, aber keine Exklusivität. Liberale Muslime müssten ebenfalls ins Boot geholt werden. Auch Valls betonte, dass ein aufgeklärter Islam unterstützt werden müsse. Laschet verwies darauf, dass der Islam nicht so organisiert sei wie die beiden großen Kirchen in Deutschland: Es fehlt ein zentraler Ansprechpartner. Er unterstrich die Bedeutung der Imamausbildung im jeweiligen Land.
Die Veranstaltung war vom Institute for Freedom of Faith and Security in Europe (IFFSE) organisiert worden. Das IFFSE wurde von der Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) initiiert. CER-Präsident Pinchas Goldschmidt, Oberrabbiner von Moskau, mahnte: “Religiöse Texte dürfen nicht missbraucht werden.”
Was auch immer Regierungen und Gesellschaften gegen Islamismus und Terror tun: Rasche Ergebnisse seien eher nicht zu erwarten, mahnte Mansour. Denn: “Präventionsarbeit ist eine Generationenaufgabe.”
© KNA
Beitragsbild: Marie Sjödin via Pixabay