Berlin (KNA) Radikale islamische Strömungen profitierten nach Einschätzung des algerischen Schriftstellers Boualem Sansal von der Corona-Pandemie. Diese und andere Krise hätten Europa politisch, wirtschaftlich, sozial und moralisch geschwächt, sagte Sansal im Interview der “Welt” (Dienstag). Der “politische Islam” passe sich den jeweiligen Gegebenheiten an.
Im Westen verbreite sich der Islamismus über “Predigten und Bekehrungen, über die Erziehung, die Politik, die Diplomatie, die Unterwanderung der Gesellschaft durch Vereine, den Halal-Handel, die islamistische Finanz, die Medien, das Charity-Business”, so der Autor. Der Westen wolle diese Entwicklung nicht wahrhaben: “Rechts wie links bildet man sich ein, dass der Islam und der Islamismus nichts miteinander zu tun haben und es genügt, dem Islam mehr Platz zu schaffen, um den Islamismus zu verdrängen.”
Bei der Mehrheit der 1,5 Milliarden Muslime weltweit handle es sich selbstverständlich nicht um Islamisten. “Aber sie würden niemals gegen den Islam agieren, hinter dem sich der Islamismus versteckt.” Die westlichen Gesellschaften hätten keine Ahnung von den Schattierungen des muslimischen Universums, kritisierte Sansal: “Wo ist die Grenze zwischen Islam und Islamismus, zwischen konservativem und einem engagierten Muslim, der für seine Religion wirbt und sie verteidigt, zwischen einem pietistischen Muslim und einem, der den Dschihad vorbereitet?”
Der Islam sei nicht reformierbar, fügte der Autor hinzu. Es sei befremdlich, wenn etwa der französische Staatspräsident Emmanuel Macron von einem “Islam der Aufklärung” spreche: “Auf mich wirkt das, als wisse Macron nicht, dass die Aufklärung nicht von gläubigen Christen erfunden wurde, sondern von Gegnern der Kirche, von Atheisten, von Weltlichen, die den Fanatismus und den Aberglauben des Christentums denunzierten.”
Die Aussage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Muslime würden hierzulande diskriminiert wie die Juden vor dem Zweiten Weltkrieg, habe ihn schockiert, sagte Sansal. “Das zu behaupten ist ein echter Skandal.” Muslime in Frankreich lebten mit denselben Bequemlichkeiten und Schwierigkeiten wie alle dortigen Bürger. “Die Islamisten hingegen leben in einer geschlossenen Parallelgesellschaft. Sie kritisieren, fordern, beschuldigen, vor allem inszenieren sie sich als Opfer.”
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