Oberursel (KNA) Der Kulturwissenschaftler und Friedenspreisträger Jan Assmann befürchtet, dass sich die Kunst immer weniger mit religiösen Bezügen auseinandersetzt und zusehends verweltlicht. Es wäre für die Kunst eine “echte Katastrophe”, wenn die Gottesfrage in der Gesellschaft keine Bedeutung mehr hätte, sagte Assmann der Zeitschrift “Publik-Forum” (Ausgabe vom 18. Dezember). “Wir sterben zwar nicht daran, wenn die Kunst total verweltlicht und verflacht, aber wir verarmen geistig”, sagte der 82-Jährige.
Eine Verweltlichung von Kunst und Kultur schaffe nicht nur eine “große Leerstelle, die sich ausbreitet”. Diese Leerstelle fülle sich vielmehr “mit allem möglichen esoterischen Kram”. Das zeige sich derzeit auch bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, an denen sich “auch diese Esoteriker” beteiligten. “Der religiöse Sinn, der aus der Kunst entschwindet, macht einem Unsinn Platz, der sich als Spiritualismus geriert und diese Lücke füllt”, sagte Assmann.
Ein Bedeutungsverlust von Religion sei auch für die kulturelle Identität der Gesellschaft eine Katastrophe, betonte der Wissenschaftler. “Da geht etwas verloren, was uns zutiefst geprägt hat und ohne das man sich schlecht in der Welt zurechtfinden würde.” Ihm liege viel daran, die religiösen Quellen des kulturellen Gedächtnisses nicht versiegen zu lassen.
Assmann würdigte insbesondere die Kirchenmusik Ludwig van Beethovens. Im Unterschied zu Komponisten wie Bach, Mozart oder Haydn, die “moderne Musik in einem liturgischen Rahmen” machten, habe Beethoven geistliche Musik schreiben wollen, “der man anhört, dass sie geistlich ist und auf keinen liturgischen Rahmen angewiesen ist”. Dabei habe Beethoven sowohl in den Musizierenden als auch in den Zuhörern religiöse Gefühle wecken wollen.
Assmann lehrte an der Universität Heidelberg 27 Jahre lang als Ägyptologe. Seit seinem Ruhestand 2003 ist er als Honorarprofessor an der Universität in Konstanz tätig. 2018 wurde er zusammen mit seiner Frau Aleida mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt.
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