Kritik an religiösen Meinungsführern wird lauter
In Mali hat Imam Mahmoud Dicko 2020 gezeigt, wie er die Bevölkerung mobilisieren kann, und damit weltweit Beachtung erzielt. Mitunter wird er gar als nächster Präsident gehandelt. Doch längst nicht alle sind begeistert.
Von Katrin Gänsler (KNA)
Bamako (KNA) Die kurzen Videos, die seit Wochen auf Facebook und WhatsApp auftauchen, lassen in Mali viel Raum für Spekulationen. Sie zeigen, wie Imam Mahmoud Dicko, der aktuell mächtigste religiöse Meinungsführer im Land, von einem Auto- und Mopedkorso durch die Straßen Bamakos begleitet wird. Das erweckt den Anschein, als habe der Imam gerade bekannt gegeben, bei der nächsten Präsidentschaftswahl selbst zu kandidieren. “Dicko wird Präsident” ist sogar mitunter in den Netzwerken zu lesen und bei Gesprächen zu hören.
Stattfinden soll die Wahl, für die seit Wochen immer mehr Politiker ihre Kandidatur ankündigen, nach bisherigem Stand im ersten Quartal 2022. Nötig wurde sie durch den Staatsstreich vom August 2020. Seit September ist eine Übergangsregierung im Amt. Indirekt am Sturz des bisherigen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita (76) war auch Dicko beteiligt.
Der 66-Jährige führte die Protestbewegung M5-RFP an, ein Zusammenschluss aus Religion, politischer Opposition und Zivilgesellschaft, die zuvor monatelang gegen Keitas Regierung demonstriert hatte. Der Unmut, der sich immer weiter steigerte, sorgte dafür, dass die Putschisten anfangs viel Beifall erhielten.
In Bamako schüttelt Boubacar Haidara von der Universität Segou allerdings den Kopf. Der Experte für Islam und Politik sagt: “Dicko wird niemals Kandidat werden. Das ist ein Risiko für ihn.” Auch wenn es Mitte 2020 so aussah, als ob niemand die Massen mobilisieren könne wie er, sei völlig ungewiss, wie viele Menschen ihn tatsächlich wählen würden. “Eine Wahl würde sein wirkliches politisches Gewicht zeigen. Erhielte er nur ein, zwei oder drei Prozent, wäre das sein politisches Aus.” Auch seien damals viele nicht unbedingt für Dicko auf die Straße gegangen – sondern aus Ärger über das System Keita.
Ohnehin verkörpert Dicko nicht unbedingt den für Mali typischen Islam. Bei seinem Studium in Saudi-Arabien lernte er den Wahhabismus kennen und gilt als konservativ. 2009 führte er Proteste an, die eine Liberalisierung des Familienrechts verhinderten. Dabei bekennt sich die Mehrheit der Muslime – sie machen etwa 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung aus – zum Sufismus. Die Trennung von Staat und Religion wird stets betont.
Imam Dicko bleibt dennoch in der Politik aktiv, als Strippenzieher im Hintergrund. “Er ist sehr intelligent und kennt seine Macht. Er beaufsichtigt das politische Spiel. Gefällt ihm etwas nicht, ruft er zu Protesten auf. Diese Rolle sagt ihm mehr zu, als selbst Präsident zu sein. Er ist der Überwacher des Präsidenten”, sagt Boubacar Haidara.
Wie schnell sich Zuneigungen ändern können, hat ausgerechnet der abgesetzte Keita erlebt. Bei dessen erster Wahl 2013 sprach sich Dicko, damals Vorsitzender des Hohen Islamischen Rates, noch für ihn aus. Fünf Jahre später war davon nichts mehr zu spüren.
Doch auch Dickos Macht könnte trotz gekonnter Videoinszenierungen schneller als gedacht schwinden. Ebenfalls in Sozialen Netzwerken erhält der Imam viel Gegenwind, den vor allem junge Aktivisten senden. Besonders deutlich ist der Unternehmer Amara Bathily, dem auf Facebook knapp 160.000 Menschen folgen. Täglich postet er mehrere Texte zur aus seiner Sicht “katastrophalen Lage” Malis, die sich seit dem Staatsstreich kein bisschen gebessert habe. Alte Strukturen existierten weiter.
Dicko steht oft im Zentrum der Kritik. Für Bathily ist der Imam jemand, der es liebe, andere zu manipulieren und ein doppeltes Spiel zu spielen. In der Verantwortung seien allerdings auch Politiker, die das Spiel mitspielen und sich noch immer bei Fragen an Dicko wenden und ihn hofieren. Setze sich das auch künftig fort, werde es keinen echten Wandel in Mali geben, befürchtet Bathily. Der sei nur möglich, “wenn sich die Religion endlich aus der Politik heraushält”.
© KNA