Fatma Akay-Türker prangert das islamische Patriarchat an
Den frauenfeindlichen Verbandsislam hat Fatma Akay-Türker aus der Nähe erlebt – und sich abgewendet. In einem Buch nimmt sie die diskriminierenden Lehren der Traditionalisten auseinander. Eine spannende Abrechnung.
Von Christoph Schmidt (KNA)
Bonn (KNA) Vor einem Jahr trat Fatma Akay-Türker als Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zurück, aus Protest gegen das patriarchalische Regiment in dem Verband. Rebellische Frauen wie sie sind selten in diesen Strukturen. Akay-Türker ist gläubige Muslimin und Kopftuchträgerin, aber auch promovierte Historikerin und Kämpferin für eine theologische Reform des Islam. Für sie lassen sich Frauendiskriminierung und Intoleranz nicht mit dem Koran vereinbaren. In ihrem Buch “Nur vor Allah werfe ich mich nieder”, das an diesem Samstag erscheint, begründet die Autorin ihren damaligen Rücktritt und widerlegt Lehren des traditionellen Islam.
Es ist die Geschichte einer Frau, die sich nicht mit den ihr zugedachten Rollen abfindet. Weder als “Gastarbeiterkind” in der Mehrheitsgesellschaft noch als stumme Dienerin in der männerdominierten Welt ihrer Religion. Mit 13 Jahren kommt Akay-Türker 1989 aus der Türkei nach Wien. Statt wie vom Vater gewünscht nach der Hauptschule zu arbeiten, bildet sie sich weiter und beginnt ein Studium. Die von der Familie arrangierte Ehe mit einem streng konservativen Verwandten beendet sie. “Nie wieder würde ich mich einem Mann so unterwerfen”, schreibt sie. “Das Leben, das ich führte, das Millionen von muslimischen Frauen zwangsweise führen, ist eine Form der Sklaverei.” Später heiratet sie einen Mann, der die Ambitionen der vierfachen Mutter unterstützt.
Das Kopftuch zieht sie mit 18 aus freier Entscheidung an und lässt sich auch zur Religionslehrerin ausbilden. Zuständig dafür ist in Österreich die IGGÖ, die Akay-Türker 2019 zur Frauenbeauftragten ernennt. Im Obersten Rat ist sie das einzige weibliche Mitglied unter 15 Männern, die ihr den Handschlag verweigern. Von Anfang an stößt sie mit ihrem progressiven Islamverständnis auf den Widerstand der Funktionärsclique um IGGÖ-Chef Ümit Vural. Zwar darf sie einen Frauenrat gründen, der aber kein Mitspracherecht erhält. Akay-Türker wird gemobbt und kaltgestellt. “Sprechen Sie bitte nicht mehr über theologische Angelegenheiten.” Nach 18 frustrierenden Monaten erklärt sie den Rücktritt “von meiner Scheinfunktion im Obersten Rat”.
Nach solchen Einblicken in die misogynen Strukturen eines großen Islamverbands zerlegt die Autorin systematisch deren patriarchalische Theologie. Diese gründet aus ihrer Sicht vor allem auf erfundenen Hadithen, also Überlieferungen angeblicher Taten und Aussagen des Propheten Mohammed, und auf einer falschen Lesart des Koran. Damit berührt sie eine zentrale Frage islamischer Reformer: Welche Authentizität haben Hadithe, die in den 200 Jahren nach Mohammeds Tod zu Tausenden auftauchten und die islamischen Glaubensvorstellungen maßgeblich geprägt haben? Hat Mohammed tatsächlich verkündet: “Die beste Frau ist diejenige, die dem Befehl ihres Mannes gehorcht”?
Für Akay-Türker sind solche Sprüche reine Konstrukte einer Männergesellschaft, die das Patriarchat religiös legitimieren wollte. Sie hält sich strikt an ihr Koranverständnis. Demnach propagiert das heilige Buch strikte Gleichberechtigung wie in dem Vers aus Sure neun: “Die gläubigen Männer und Frauen sind einer des anderen Freunde und Helfer.”
Berüchtigte Zitate, auf die sich Traditionalisten wie Islamkritiker immer wieder berufen, erklärt Akay-Türker historisch. So sei die Polygamie lediglich zur Versorgung damaliger Kriegerwitwen gedacht und kein Normalfall. Dass Frauen nur die Hälfte erben und ihr Zeugnis vor Gericht vermeintlich weniger Wert hat, ergibt sich für sie ebenfalls aus der damaligen Lebenswelt und gilt heute nicht mehr. Das angebliche Züchtigungsrecht der Männer führt Akay-Türker wie andere Reformtheologen auf die Fehldeutung des arabische Verbs “daraba” zurück, das neben “schlagen” auch “sich eine Weile trennen” meint.
Die Verhüllung der Frau behandelt der Koran aus Sicht der Autorin nur als Empfehlung. Auch Zwangsheirat, die Unterdrückung Andersgläubiger oder die Geschlechtertrennung in den Moscheen komme in den Offenbarungen nicht vor. Natürlich dürften Frauen auch als Imaminnen das Gebet leiten.
“Wir brauchen einen Islam, der im 21. Jahrhundert in Europa angekommen ist.” Der Weg dorthin führt für Akay-Türker über die Frauen. Aber noch akzeptierten zu viele Musliminnen ihre Stellung als Mensch zweiter Klasse und dienten damit als “Erfüllungsgehilfinnen des Patriarchats”
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