Wenn eine “Fastenpolizei” auf dem Schulklo kontrolliert
Pubertäres Gehabe oder der erste Schritt zur Radikalisierung? Ein neues Projekt in Berlin-Neukölln soll Lehrkräften bei religiösen Konflikten mit Jugendlichen helfen. Sie sind auch bundesweit ein Problem.
Von Nina Schmedding (KNA)
Berlin/Köln (KNA) Ein Kind, das plötzlich keine Wurst mehr auf dem Pausenbrot haben will, weil es Angst vor Ausgrenzung hat. Gruppendruck von Freundinnen, weil ein Mädchen kein Kopftuch trägt. Oder Jungs, die darauf achten, ob während des Ramadan das Fasten in der Schule eingehalten wird.
“Wenn es eine Art ‘Fastenpolizei’ auf der Toilette gibt, die schaut, ob man Wasser trinkt oder nicht, ist das hochproblematisch”, sagt Martin Hikel. Der 35-Jährige ist SPD-Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln und Mitinitiator der neuen “Anlauf- und Dokumentationsstelle für konfrontative Religionsbekundungen” – einem bundesweit einzigartigen Pilotprojekt, das – wenn alles nach Plan läuft und die beantragten Fördermittel bewilligt werden – so bald wie möglich an den Start gehen soll. Träger ist der Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung.
Religionsmobbing ist an den Schulen in dem Bezirk, bundesweit als sozialer Brennpunkt berüchtigt, seit Jahren ein Problem – und zwar “hauptsächlich von Schülern, die den islamischen Glauben dafür instrumentalisieren, um sich auf Kosten anderer Glaubensauslegungen, Andersgläubiger oder Atheisten abzugrenzen und die eigene Ansicht zu überhöhen”, erklärt Hikel. “Communitybildung” werde über den Glauben hergestellt. “Wenn etwa Aleviten den Islam anders auslegen, wird ihnen offensiv die Legitimität ihres Glaubens abgesprochen und dieser abgewertet.”
Die meisten Konflikte, die über die Religion ausgetragen werden, entstünden “aus dem Nichtverstehen, fehlender Akzeptanz oder auch wegen demonstrativ-provozierender religiöser Handlungen”, so Hikel weiter. Das neue Projekt solle angesichts dessen den sozialen Frieden festigen.
Es ist ein Problem, das auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, aus anderen Regionen Deutschlands kennt. “Wir merken, dass das schlimmer wird. Hier besteht dringend Handlungsbedarf. Man muss den Lehrern etwas an die Hand geben, sie schon in der Ausbildung besser auf solche Situationen vorbereiten. Viele fühlen sich allein gelassen”, betont Meidinger und lobt das Neuköllner Projekt. Es wird – nach eigenen Angaben erstmals in Deutschland – solche Vorfälle dokumentieren, bewerten und wissenschaftlich aufarbeiten.
Besonders nach der Ermordung des Lehrers Samuel Paty im vergangenen Jahr in Frankreich hätten ihn viele Zuschriften von Lehrkräften erreicht, die von religiös aufgeladenem Druck durch muslimische Schülerinnen und Schüler berichteten, erzählt Meidinger. In Deutschland sei dies aber “kein flächendeckendes Problem”, sondern betreffe eher Brennpunktschulen in Metropolregionen. “Meistens ist es so, dass sich einzelne besonders stark artikulieren und viele ganz anders denken, sich aber nicht trauen, das zu äußern”, so Meidinger.
Das gibt es zum Beispiel auch in Köln. “Während einige ihre Religion wie ein Werbeplakat vor sich hertragen, verstecken andere ihre Identität aus Angst vor Ausgrenzung”, sagt Cahit Basar, Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde Deutschland und Politiklehrer an einem Kölner Gymnasium. “Wir haben hier jüdische Kinder, deren Eltern nicht wollen, dass in der Schule bekannt wird, dass sie Juden sind – aus Angst vor Konflikten mit muslimischen Mitschülern”, so Basar.
Auch er stellt eine Zunahme religiöser Konflikte an Schulen fest. Eine Siebtklässlerin habe ihn jüngst gefragt, ob sie mit christlichen Kindern befreundet sein dürfe, berichtet Basar. Diese Frage habe ihn erschüttert. “Ich bin hier aufgewachsen, meine Eltern sind 1961 eingewandert. Aber eine solche Frage war für mich als Kind absurd”, sagt der Alevit. Das Mädchen habe ihm dann erklärt, es habe “in der Moschee” gehört, dass man sich nicht mit Christen anfreunden solle.
Mittlerweile sei eine solche Frage leider nicht mehr absurd, räumt Basar ein. Als Ursachen sieht er radikale Moscheeverbände, die versuchen, Einfluss zu nehmen, und eine “islamisierte Medienlandschaft”. Basar: “Die gleichgeschalteten türkischen Medien reichen in jedes Wohnzimmer in Köln-Chorweiler. Das, was die Menschen hier hören, ist, wie viel erhabener und besser der Islam im Vergleich zu anderen Religionen sei.” Manche Kinder würden mit ihrer Religiosität auch “mangelndes Ansehen” kompensieren.
Hikel vermutet, dass auch Rassismuserfahrungen eine Rolle spielen könnten. “Sie werden kompensiert durch eine stärkere Auslegung des Glaubens und stärkere religiöse Identität. Es gibt radikale muslimische Verbände, die das instrumentalisieren.” Dabei werde aber übersehen, dass Rassismus in den meisten Fällen eher auf die Hautfarbe abziele oder auf einen arabischen oder türkischen Namen und nicht auf die muslimische Religion, erklärt Hikel, der früher selbst Lehrer war. “Das muss man transparent machen.”
Die “Anlaufstelle gegen konfrontative Religionsbekundung” soll auch versuchen, die Fälle einzuordnen. “Wir müssen genau unterscheiden, um welche Motive es sich handelt. Ist es pubertäres Verhalten, geht es also eher um Identitätsfindung und oberflächliche Provokationen, oder ist es eine innerliche Haltung, die man anderen aufdrückt und die missionieren will”, so Hikel. Im schlimmsten Fall könne dies “ins Extremistische” gehen.
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