Märtyrer des christlich-islamischen Dialogs
Als er längst in Frankreich studierte, wurde dem jungen Priester Pierre Claverie klar, dass er in sein Geburtsland Algerien zurück musste. Es wurde sein Schicksal – und der Ort seines Martyriums.
Von Alexander Brüggemann (KNA)
Bonn/Algier (KNA) Spätestens als Ende März sieben Mönche aus dem Trappistenkloster in Tibhirine entführt und zwei Monate später geköpft aufgefunden wurden, musste dem Bischof von Oran in Algerien klar sein, dass es auch ihn jederzeit treffen konnte. Vor 25 Jahren, am 1. August 1996, explodierte in seiner Bischofskirche eine Bombe, gerade als er im Eingang stand. Pierre Lucien Claverie, ein Pionier des christlich-islamischen Dialogs, starb, ebenso wie sein junger Chauffeur. Ende 2018 wurde der Dominikaner gemeinsam mit anderen christlichen Opfern des algerischen Bürgerkriegs als Märtyrer seliggesprochen.
Claverie war ein Kind sogenannter Pieds-noirs (“Schwarzfüße”). So bezeichnete man jene Franzosen, die sich seit Beginn der französischen Eroberung Algeriens 1830 dort angesiedelt hatten. Geboren im Mai 1938 in der Hauptstadt Algier, wuchs er nach eigenen Worten in einer “kolonialen Seifenblase” auf, ohne Kontakt zu muslimischen Kindern oder zur arabischen Sprache.
Zu jener Zeit – 1930 hatte Frankreich mit einigem Pomp 100 Jahre “Wiederauferstehung der Kirche Afrikas” gefeiert – sah die französische Republik, dem betonten Laizismus im eigenen Land zum Trotz, in Algerien Christianisierung und Kolonisierung als eines. Ziel war, Algerien eine französische und also christliche Seele zu geben. Diese zivilisatorische Attitüde kam bei der einheimischen Bevölkerung auch genau so an; erst recht, nachdem 1945 ein Aufstand gegen die Kolonialmacht niedergeschlagen worden war und Kirchenvertreter die Aufständischen als undankbar und das Christentum als dem Islam überlegen charakterisierten.
Erst allmählich setzte in den folgenden Jahrzehnten bei Teilen von Klerus und vor allem den Ordensleuten ein Umdenken ein. Jene Geistlichen suchten nun verstärkt geschwisterlichen Kontakt mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung, widmeten sich der Caritas, Bildungs- und Gesundheitsprojekten, teilten ihr Leben mit den Ärmsten.
Pierre Claverie studierte unterdessen im französischen Grenoble und wandte sich dem Ordensleben zu. 1958 trat er bei den Dominikanern ein und wurde 1965 zum Priester geweiht. Inzwischen hatte sein Geburtsland in einem blutigen Krieg (1954-1962) seine Unabhängigkeit von Frankreich erkämpft. Claverie wollte dorthin zurück, lernte Arabisch und beschäftigte sich nun mit dem Islam.
1973 wurde er Leiter des Centre des Glycines in Algier, eines interreligiösen Forschungsinstituts für Islamstudien. Im Mai 1981 schließlich ernannte Papst Johannes Paul II. Claverie zum Bischof von Oran, als Nachfolger von Henri Teissier (1929-2020), der in die Hauptstadt Algier befördert wurde.
Im Zuge des Unabhängigkeitskrieges war die Zahl der Christen im Land stark zurückgegangen. Viele Kirchen wurden in Moscheen umgewandelt, und die verbliebenen Christen mussten sich die Frage nach ihrer Identität und ihrer Aufgabe beantworten: Wollten sie eine französische “Diplomatenkirche” oder eine Kirche Algeriens sein? Auch wenn die Antwort b) lautete: Die politische Lage machte das Unterfangen schwierig und zunehmend gefährlich. In den 90er Jahren gerieten die Christen in den Sog des algerischen Bürgerkrieges.
Anfang 1989 hatte Präsident Chadli Bendjedid eine neue Verfassung verabschiedet, die politische Parteien und Pressefreiheit zuließ. 60 Parteien bildeten sich, eine Flut an Presseerzeugnissen wurde veröffentlicht; sehr zum Unwillen des mächtigen Militärs, das vor allem ein Erstarken des politischen Islam befürchtete. Mit Recht: Die sogenannte Islamische Heilsfront (FIS) siegte bei den Kommunal- und Provinzwahlen 1990 mit Zweidrittelmehrheit. Als die Armee 1991 die ersten freien Parlamentswahlen aussetzte, brach der Bürgerkrieg zwischen Militärregime, FIS und anderen radikalislamischen Gruppierungen aus.
Immer häufiger wurden nun Christen gewarnt, das Land Richtung Europa zu verlassen. Doch Überzeugte wie Bischof Claverie sahen in Algerien ihre Heimat, engagierten sich; Claverie kritisierte sogar die Kriegsparteien, Militärregierung wie Islamisten. Ab 1993 nahmen Entführungen von Christen zu, ab 1994 auch politische Morde. Die immer gleiche Botschaft: Nicht-Muslime haben keinen Platz mehr in Algerien. Die Mönche von Tibhirine mussten sterben, dann Claverie, der auch bei gebildeten Muslimen hoch angesehen war. Sieben Männer wurden im März 1998 als Beteiligte an dem Bombenanschlag zum Tod verurteilt.
Der algerische Bürgerkrieg endete 2002 mit einem Sieg der Sicherheitskräfte, dem Verbot der FIS und einer Zerschlagung islamistischer Terrorgruppen. Die Todesopfer werden zwischen 60.000 und 200.000 beziffert. Insgesamt 19 Ordensleute, die zwischen 1994 und 1996 in Algerien ermordet wurden, sprach der Vatikan Ende 2018 selig. Die Zeremonie in Oran war ein wichtiges Zeichen der Ermutigung für die verbliebenen Christen im Land, denen die einfache Bevölkerung heute vielerorts vertraut – ganz anders als die staatlichen Behörden.
© KNA