Gegen den “blinden Fleck”
Ein neues Projekt in Berlin-Neukölln sollte Lehrkräften bei religiösen Konflikten an Schulen helfen. Doch die Realisierung ist ungewiss: Muslime würden dadurch stigmatisiert, heißt es seitens der Kritiker. Von Nina Schmedding (KNA)
Berlin (KNA) Ein Lehrer schildert seinen Schulalltag mit Blick auf religiöse Konflikte so: “Wir machen ja auch Weltreligionen und dann besuchen wir natürlich auch eine Synagoge oder Kirche. Und das Betreten einer Kirche, das ist für manche schon so, als ob das Teufelszeug sei.” Ein anderer erzählt: “Wenn dann Fastenzeiten kommen, biete ich auch Klassenrat an. Ich frage nach, wer fastet und wer Aleviten sind. Ich weiß, wer Aleviten sind. Die trauen sich aber nicht, sich zu melden oder melden sich und sagen, sie fasten auch, obwohl ich weiß, dass sie nicht fasten.”
Es sind Erfahrungen wie diese, die Berlin-Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) im vergangenen Herbst dazu bewogen haben, an zehn Schulen im Kiez eine Untersuchung in Auftrag zu geben. Sie sollte die Grundlage bieten, um die in seinem Bezirk geplante, bundesweit bisher einzige “Anlauf-und Dokumentationsstelle für konfrontative Religions-bekundung” im Laufe dieses Jahres realisieren zu können.
Der Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung (DeVi), der auch Präventionsprojekte gegen Rechtsextremismus umsetzt, führte die zweimonatige Untersuchung durch. Ein “Pilotprojekt”, hieß es bei der Vorstellung im Dezember, denn die Themen konfrontative Religionsbekundung und Islamismus in Schulen seien nicht genügend erforscht; hier gebe es einen “blinden Fleck”.
In der Bestandsaufnahme, bei der Pädagogen befragt wurden, berichteten neun von zehn Schulen von solchen Vorfällen. Religionsmobbing ist an den Schulen in dem Bezirk, bundesweit als sozialer Brennpunkt berüchtigt, seit Jahren ein Problem – und zwar “hauptsächlich von Schülern, die den islamischen Glauben dafür instrumentalisieren, um sich auf Kosten anderer Glaubensauslegungen, Andersgläubiger oder Atheisten abzugrenzen und die eigene Ansicht zu überhöhen”, erklärt Hikel.
Indes hagelt es Kritik an dem Vorhaben aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft: In einer aktuellen Stellungnahme werfen rund 130 Fachleute und Organisationen sowie Moscheeverbände der Abhandlung Unwissenschaftlichkeit vor. So seien etwa nur Lehrer und keine Schüler befragt worden. Zudem sei eine Dokumentationsstelle stigmatisierend für Muslime, fördere eher den Unfrieden als die Konfliktlösung an Schulen. Auch gebe es bereits allgemeine Antidiskriminierungsstellen, man benötige keine Parallelstruktur.
Ein Argument, das der Leiter der DeVi-Studie, Michael Hammerbacher, kritisch sieht. Viele Pädagogen hätten Angst, “in den Ruf zu kommen, ‘islamfeindlich’ oder ‘rechts’ zu sein, nur weil sie konkrete Probleme benennen, die sie vor Ort in ihren Schulen haben. Das könnte auch ein Grund sein, warum sich Kollegen und Kolleginnen zum Teil nicht an manche bestehenden Präventionsangebote wenden. Sie erwarten dort wenig Unterstützung.”
Allgemein gehen für ihn die Vorwürfe am Kernproblem vorbei. “Fest steht doch, dass unsere Bestandsaufnahme eine problematische Alltagskultur an einigen Schulen zeigt und die Schilderungen der Befragten für sich stehen, und nicht geleugnet werden können.”
Es ist eine Problematik, die auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, aus anderen Regionen kennt. “Hier besteht dringend Handlungsbedarf. Man muss den Lehrern etwas an die Hand geben, sie schon in der Ausbildung besser auf solche Situationen vorbereiten. Viele fühlen sich allein gelassen”, betont Meidinger.
Auch Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität, befürchtet eine Ausbreitung eines aggressiven, intoleranten Islams unter muslimischen Schülern. Dies sei eine besonders schädliche Entwicklung für die Integration, die vom linken Zeitgeist aber tabuisiert werde. Die Leidtragenden seien religiöse Minderheiten, insbesondere jüdische Schüler, “aber auch liberal eingestellte Muslime, die einem andauernden religiösen Mobbing ausgesetzt sind”, so Schröter kürzlich in einem Beitrag für die “Neue Zürcher Zeitung”.
Dem DeVi-Projekt bescheinigte sie “für den kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraum und das bescheidene Personaltableau” insgesamt “eine gute und aussagekräftige Erhebung”. Sie empfiehlt, “die Gespräche mit einer größeren Anzahl von Personen fortzuführen, um die empirische Datenbasis zu erweitern.”
Die neue Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) hatte vergangene Woche signalisiert, eine erweiterte Studie für das ganze Land Berlin durchführen zu wollen – allerdings bevor die vehemente Kritik laut wurde. Hammerbacher ist optimistisch, dass trotzdem eine öffentliche Förderung gelingt – und zwar nicht nur in Berlin: “Es gibt bestimmt noch andere Länder und Kommunen, die sich dafür interessieren.”
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