Anfeindungen bis in die Mitte der Bevölkerung
Viele der 5,5 Millionen Muslime erleben hierzulande Hass und Ausgrenzung. Erstmals zeigt ein Bericht das Ausmaß; von Schule bis zu den Medien. Konsequenzen müssten folgen.
Von Christoph Scholz (KNA)
Berlin (KNA) In weiteren Teilen der deutschen Bevölkerung herrscht eine muslimfeindliche Haltung, und zwar auf einem seit Jahren „hohen Niveau“. So lautet das Fazit des Berichts „Muslimfeindlichkeit – eine Deutsche Bilanz“, den ein Unabhängiger Expertenkreis am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte den Kreis als Reaktion auf rassistisch motivierte Anschläge wie der in Hanau vom 19. Februar 2020 einberufen. Der knapp 400-seitige Bericht zeigt erstmals das Ausmaß des Phänomens.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von „bitteren Befunden“. „Viele der 5,5 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland erleben Ausgrenzung und Diskriminierung im Alltag – bis hin zu Hass und Gewalt.“ Laut Bericht sind Muslime, die offen ihre religiöse Zugehörigkeit bekennen, ob durch Kleidung oder Mitgliedschaft in Organisationen, am stärksten betroffen. Vor allem kopftuchtragende Frauen berichteten von „besonders drastischen Formen der Anfeindungen“. Männer sehen sich demnach „verstärkt Zuschreibungen von Aggressivität und Gewalt“ ausgesetzt.
Unter Muslimfeindlichkeit versteht der Bericht „Zuschreibungen pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften gegenüber Muslimen „. Ein „unbewusstes Vorverständnis“, Fehlinformationen, pauschale Ängste aber auch strukturellen Benachteiligungen führten zu einer „feindlichen Spaltung“ der Gesellschaft, so die Experten. Dabei konstatieren sie beim Rechtsextremismus „deutliche Ideologische Verbindungen“ zwischen Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus.
Es handelt sich demnach um ein Querschnittsphänomen, das sich durch alle Lebensbereiche zieht und auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist. Der Politologe der Universität Erlangen-Nürnberg, Mathias Rohe, monierte dabei auch einen „aggressiven Laizismus“, wie er im Berliner Neutralitätsgesetz zum Ausdruck komme.
Der Expertenkreis zeigte sich selbst überrascht vom Ausmaß des Phänomens. Laut Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann Stiftung, hat ein Drittel der Muslime in Deutschland regelmäßig mit Diskriminierungserfahrungen zu kämpfen, aber die wenigsten zeigten dies an. Es fehlten Beratungsstellen oder Ansprechpartner bei den Sicherheitsbehörden. Der Erfurter Politikwissenschaftler Kai Hafez verwies auf Untersuchungen, wonach muslimfeindliche Einstellung auch bei der Polizei verbreitet sei. Damit widersprach er Seehofer, der dies seinerzeit bestritten hatte. Für den Kampf gegen „institutionellen Rassismus“ sollten alle Berufsgruppen in staatlichen Einrichtungen stärker sensibilisiert werden, so Hafez.
Der Bericht sieht in der Muslimfeindlichkeit eine Form des Rassismus, weil sie pauschalisierend eine Fremdgruppe konstruiere und die Gesellschaft in ein „wir“ und „sie“ aufteile. Auch vielen Medien, einschließlich der öffentlich-rechtlichen Sender, betrieben eine „einseitig konfliktorientierte Berichterstattung „ über den Islam. Christliche Medien nähmen ebenso „in sehr unterschiedlicher Intensität an einseitigen Islamdiskursen teil“. In den sozialen Medien herrscht nach Einschätzung von Hafez hingegen eine „toxische“ Muslimfeindlichkeit.
Für den Bildungsbereich verlangen die Experten von den Kultusministerien, Lehrpläne und Schulbücher zu überarbeiten und einen eigenen Themenbereich in der Politische Bildung zu schaffen. Grundsätzlich sei eine gleichberechtigte Teilhabe muslimischer Akteure und Organisationen an Staatlichen Förderungen besonders im Kultur- und Sozialbereich notwendig.
Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass die „unbestrittenen Probleme eines islamisch-religiös begründeten Extremismus“ nicht Gegenstand ihres Arbeitsauftrages waren und anderweitig behandelt worden seien. Das BMI hatte einen ebenfalls unter Seehofer ins Leben gerufenen Expertenkreis politischer Islamismus allerdings nicht verlängert. Der Bericht stellt aber klar, dass eine berechtigte Kritik des Islam nicht infrage stehe. Übergänge zu Muslimfeindlichkeit seien aber dort gegeben, wo eine Pauschalierung erfolge, einseitige Erklärungsansätze gegeben würden oder die Vielfalt des Islam nicht berücksichtigt werde.
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