Hochwasserhilfe über Religionsgrenzen hinweg
Durmus Aki hat durch die Flut in Süddeutschland eine Cousine verloren. Trotz dieses Schicksalsschlags half er sogleich anderen Hochwasserbetroffenen. Nun hat ein muslimisches Kulturzentrum ungewöhnliche Untermieter. Von Christopher Beschnitt (KNA)
Schrobenhausen (KNA) Zita Ettl kann den Pegelstand genau benennen: “Die Sonnensegel bei uns im Garten sind 1,80 Meter hoch. Bis dahin kam die Flut.” Ettl leitet die katholische Kindertagesstätte Maria Ward im oberbayerischen Schrobenhausen. Sie und ihre Kolleginnen kümmern sich um rund 110 Krippen- und Kindergartenkinder – eigentlich im Stadtzentrum. Doch seit drei Wochen ist ein Groÿteil von ihnen
am Ortsrand untergebracht, im Gemeindezentrum der muslimischen Ditib-Gemeinde. Nachdem ihr Haus Anfang Juni durch die Hochwasserkatastrophe in Süddeutschland schwer beschädigt wurde, hat die Kita dort Zuflucht gefunden.
Zu verdanken ist das Durmus Aki, dem Vorsitzenden der Ditib-Gemeinde. Das Hochwasser und die Maria-Ward-Kita sind für ihn Themen, die ihn persönlich anrühren. Aki hat durch die Katastrophe eine Cousine verloren; sie ertrank in ihrem Keller. Während Aki sie auf ihrem letzten Weg zur Beerdigung in die Türkei begleitete, organisierte er mehr oder minder parallel mit seinen Vorstandskollegen den Einzug der Kita ins Gemeindezentrum. “Die Kinder mussten ja irgendwohin, da haben wir das gleich angeboten”, sagt Aki.
Auch in dieser Hinsicht ist er direkt betroffen: Aki hat drei Kinder, zwei davon besuchen die Maria-Ward-Einrichtung. Und er selbst war vor fast 40 Jahren ebenfalls dort. “Ich glaube, sogar bei mir in der Gruppe”, sagt Zita Ettl. Aki lächelt, er könne sich leider nicht erinnern. “Doch, doch, ich müsste sogar noch ein Foto von damals haben”, fügt die Kita-Chefin hinzu.
Einst mag sie ihm beim Malen, Essen, Anziehen geholfen haben, nun greift er ihr unter die Arme. “Wir sind so, so dankbar”, betont Ettl mehrfach. Sie sitzt mit Aki zusammen auf dem weichen Teppichboden in der Moschee, die ans Gemeindezentrum grenzt. Das Gotteshaus ist neu, wie der ganze Gebäudekomplex.
“Eigentlich wollten wir am 30. Juni nach drei Jahren Planen und Bauen Eröffnung feiern”, erzählt Aki. Das hätten sie in den Herbst verschoben, aus Respekt vor den Flutopfern und eben, um den Kinder aus Maria Ward ein Obdach zu bieten.
Wobei die Buben und Mädchen an diesem Mittag kein Dach brauchen: Sie sind quietschvergnügt darüber, den riesigen Parkplatz des Ditib-Zentrums als Freiluft-Rennstrecke zum Rasen und Radeln nutzen zu können. “Hier ist mehr Platz als bei uns”, sagt Zita Ettl und schaut den Kleinen zufrieden zu. Ob den Kindern der Ortswechsel denn nichts ausmacht? “Nein, wichtig ist für sie, dass ihre Bezugspersonen da sind. Mit denen hier zu sein, das ist für sie ein Abenteuer.”
Und so sitzt und saust der Maria-Ward-Nachwuchs nun nicht etwa unter Jesus oder einem Kreuz daher, sondern im Schatten des halbmondgekrönten Minaretts. War die Religion Thema bei dem plötzlichen Umzug? Zumal Ditib ja nicht unumstritten ist; Kritiker werfen dem Verband eine zu große Nähe zum türkischen Staat vor. “Überhaupt nicht”, antwortet Ettl. “Auch der Stadtpfarrer hat gleich gesagt, wir sollen
das Angebot annehmen. Wir hätten sonst gar nicht gewusst, wohin. Die Krippenkinder sind ins Pfarrzentrum gekommen. Aber für die Kindergartenkinder wäre es schwierig geworden.”
Ohnehin stamme etwa ein Drittel der Kinder aus muslimischen Familien, fügt Ettl hinzu. “Und die kommen auch mit in die Kirche, wenn wir zum Beispiel Sankt Martin feiern.” Statt aufs Trennende zu blicken, kann man genauso gut das Gemeinsame sehen. Oder besser hören, etwa als Durmus Aki über den Kita-Einzug sagt: “Das läuft hier alles ohne Wirrwarr.” Die Doppel-r rollen ihm dabei so fröhlich von der Zunge wie die Kinder mit ihren Laufrädern über den Parkplatz hinweg. So klingt’s, wenn man in Oberbayern aufgewachsen ist, ganz gleich mit welchen Wurzeln.
Wie es nun weitergeht mit der Maria-Ward-Kita? Am 5. August beginnt die gut dreiwöchige Sommerpause. “Mehr wissen wir noch nicht”, sagt Zita Ettl. Rausgeschmissen würden die Kinder aus dem Gemeindezentrum natürlich nicht, versichert Durmus Aki. Und betont: “Wir hoffen nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Aber falls doch, würden wir wieder genauso helfen.”
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