Liebe Leserinnen und Leser,
die Bilder aus dem Flughafen in Kabul gehen um die Welt und die desaströse und schier hoffnungslose Lage in Afghanistan verschlechtert sich Tag um Tag. Die rasche Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan stellt eine katastrophale Niederlage der USA und der an ihrer Seite engagierten Länder dar. 20 Jahre lang wurde militärisch und politisch den Menschen Hoffnungen gemacht und dafür gearbeitet, eine diametral andere gesellschaftliche Ordnung zu bilden als die der Taliban. Nun werden Menschen zurückgelassen, die sich dafür engagiert sowie Leib und Leben riskiert haben. Was für ein Albtraum! Welch ein Versagen der „westlichen Welt“ und was für ein Vertrauensverlust.
Es ist davon auszugehen, dass die Entwicklungen in Afghanistan auch außerhalb des Landes Folgen haben werden und gar zu Spannungen zwischen Muslimen und Christen führen könnten. In solchen Krisenzeiten bewähren sich die interreligiösen Netzwerke, damit es nicht zu unberechtigten Angriffen und einseitigen Zuschreibungen in der einen oder anderen Richtung kommt. Der interreligiöse Dialog erlangt zunehmende Bedeutung, eben in solchen Zeiten als Friedensdienst. Zugleich werden wieder Themen, die sich mit den negativen Seiten der islamischen Religion beschäftigen, in den interreligiösen Gesprächsrunden diskutiert. Es braucht eine unaufgeregte und sachliche Beschäftigung und Analyse mit dem
Religionsverständnis der Taliban. Wie der Münsteraner Religionsphilosoph Ahmad Milad Karimi in einem Interview im Deutschlandfunk mit den Worten fordert: „Hier sind Muslime weltweit gefragt, Haltung zu zeigen, nicht wegzuschauen, nicht hinzunehmen, was in Afghanistan geschieht. Denn die Taliban sind nicht nur ein politisches Problem, sondern auch ein religiöses Desaster.“
Im März diesen Jahres traf Papst Franziskus den einflussreichen schiitischen Gelehrten Āyatollāh ʿAlī as-Sīsitānī im Zuge seiner Irakreise. Diese Begegnung hat für den katholisch-schiitischen Dialog ein wichtiges Signal gesetzt. Wer sich mit der besonderen Ausprägung der religiösen Autorität im 12-schiitischen Denken und mit as-Sīsitānī in seiner Funktion als marǧaʿ beschäftigen möchte, dem bietet die Studie von Rainer Brunner eine vortreffliche Lektüre. Denn Kenntnis über den Dialogpartner ist für einen gelingenden und tragfähigen Dialog unerlässlich.
Dass religiöse Positionen durch theologische Auseinandersetzung vertieft, entwickelt und manche neuen Wege begangen werden, zeigt die Studie von Andreas Renz. In der vorliegenden Ausgabe publizieren wir den zweiten Teil der Studie, die sich unter der Überschrift „Die ‚Familie der Schrift‘ “ mit den neueren Ansätzen einer islamischen Theologie des Christentums beschäftigt. Das Besondere an diesem Beitrag ist, dass er nicht nur wichtige pluralistische Positionen wiedergibt, sondern sie auch kritisch anfragt und somit einen gewinnbringenden Beitrag zu möglichen muslimischen Verhältnisbestimmungen zum religiös Anderen bietet.
Der interreligiöse Dialog ist auch ein Mittel, sich angesichts globaler Herausforderungen gemeinsam den Problemen zu stellen. Ökologie, der richtige Umgang mit den Ressourcen unserer Erde betrifft alle, unabhängig von religiöser und ethnischer Herkunft. Dieses Jahr war bereits voller Umweltkatastrophen, nicht zuletzt dramatisch in Deutschland, als die Flutkatastrophe im Juli zahlreiche Existenzen wegspülte. Unsere Gedanken und Gebete sind mit allen Opfern. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu erfahren, welche Überlegungen im Hinblick auf diese Themen in den verschiedenen Religionen angestellt werden. Die Studie von Mira Sievers bietet einen exemplarischen Überblick, vor welchen Herausforderungen die islamische Theologie in Bezug auf Umweltfragen steht. Somit zeigt sich in allen drei Studien, wie plural und lebendig die islamische Theologie ist.
Viel Freude bei der Lektüre dieses Heftes
Ihr Timo Güzelmansur
Inhalt
Studien
Die „Familie der Schrift“ – Neuere Ansätze einer islamischen Theologie des Christentums,Teil II
Andreas Renz
Religiöse Autorität im schiitischen Islam zwischen Religion und Politik
Rainer Brunner
Zu den Voraussetzungen einer islamischen Umweltethik
Mira Sievers
Dokumentation
Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz
Straßburg, 15. Juli 2021
Grußbotschaft der DBK an die Aleviten in Deutschland zum Aşure-Fest
Bonn, 9. August 2021
Zusammenfassung der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“
Nürnberg 2021
Andreas Bsteh und sein Lebenswerk für die Verständigung der Religionen – ein Nachruf
Brigitte Proksch
Berichte
Symposium des Kircher-Clusters „Christian-Muslim Relations“ in Warschau, 11.–13. Juli 2021
Tobias Specker SJ
Die Einweihung des House of One in Berlin, 27. Mai 2021
Angelica Hilsebein, Andreas Goetze
Buchbesprechungen
Hößl, Stefan/Jamal, Lobna/Schellenberg, Frank (Hg.): Politische Bildung im Kontext von Islam und Islamismus
Sebastian Prinz
Jakob, Joachim: Syrisches Christentum und früher Islam. Theologische Reaktionen in syrisch-sprachigen Texten vom 7. bis 9. Jahrhundert
Christian W. Troll SJ
Körner, Felix: Politische Religion. Theologie der Weltgestaltung – Christentum und Islam
Mouhanad Khorchide
Literaturhinweise
Zeitschriftenschau