Von der Kolonialherrin zur Multikulti-Landesmutter
Bei ihrer Thronbesteigung lebten noch Millionen Muslime unter britischer Fuchtel. Später appellierte Elizabeth II. an die Toleranz der multireligiösen Gesellschaft. Als erste britische Königin besuchte sie eine Moschee.
Von Christoph Schmidt (KNA)
London (KNA) Die Geschichte klang zu gut, um erfunden zu sein: Genealogen des britischen Adelskalenders “Burke’s Peerage” wollten 2018 herausgefunden haben, dass Queen Elizabeth II. vom islamischen Propheten Mohammed abstammt. Die Forscher verwiesen auf die maurische Prinzessin Zaida, eine Nachfahrin des Religionsgründers, die im 10. Jahrhundert an den Hof des kastilischen Königs Alfonso VI. floh, Christin wurde und dem Herrscher einen Sohn gebar. Eine von dessen Nachkommen soll später den Herzog von Cambridge geheiratet haben, einen Urahn der Queen. Historiker sehen die Version eher skeptisch, doch in der islamischen Welt sorgte sie für einige Begeisterung. Mancher wähnte freilich eine Finte, um das Britische Empire wiederzubeleben.
Der Tod der Queen sorgte auch in muslimischen Ländern für eine Welle von Mitgefühl. Auch dort zollten die großen Blätter der Langzeitmonarchin mit dem untadeligen Lebenswandel und stoischen Pflichtgefühl ihren Respekt. Allenfalls Staaten wie Syrien und Iran erinnerten bei der Gelegenheit lieber an die Schandtaten und Betrügereien des britischen Imperialismus; Themen, die Elizabeth II. in ihrer 70-jährigen Regentschaft meist vermied. Als sie 1952 den Thron bestieg, lebten immer noch Millionen Muslime unter britischer Herrschaft. Das Empire lag in den letzten Zügen, fuhr aber noch die Krallen aus.
1953 wurde der iranische Premierminister Mohammed Mossadegh in einem Coup des britischen Geheimdienstes und der CIA gestürzt – London wollte die Kontrolle über die verstaatlichte Ölindustrie behalten. Drei Jahre später führte Großbritannien mit Frankreich und Israel sogar Krieg gegen Ägypten, weil Kairo den Suezkanal auf seinem eigenen Territorium beanspruchte. Allerdings: Die junge Queen hatte politisch längst nicht mehr den Einfluss wie einst ihre Ur-Urgroßmutter Victoria, unter der das Empire seinen Zenit erreichte. Elizabeth II. hatte die Geschichte nur seine huldvolle Abwicklung zugewiesen. Bis 1971 erlangten die letzten islamischen Länder am Golf die Unabhängigkeit.
Statt britische Soldaten in den Orient zu schicken, kamen die Muslime nun nach Großbritannien, vor allem aus dem indo-pakistanischen Raum. Heute leben rund dreieinhalb Millionen auf der Insel, eine Million allein in London, das von einem muslimischen Bürgermeister regiert wird. Und ob die Queen nun vom Propheten abstammte oder nicht – “Mohammed” rangierte 2021 auf der Liste der vergebenen Jungennamen das fünfte Jahr in Folge auf Platz eins. Allerdings gibt es auch Probleme mit fundamentalistischen Gruppen, die ganze Stadtviertel und einen Großteil der Moscheen kontrollieren sollen.
In seiner Trauerbotschaft vergangenen Freitag erinnerte der Muslim Council of Britain dankbar an den Besuch Elizabeths in der Moschee von Scunthorpe 2002 – der erste Moscheebesuch einer britischen Königin. Zuvor hatten Islamhasser dort die Fenster eingeworfen. Sogar in die eigenen Gebete wolle man die Queen einschließen, so der Muslimrat, was ungewöhnlich ist im Fall einer verstorbenen Nichtmuslimin, die zudem Oberhaupt der anglikanischen Kirche war.
Nach 9/11 verging kaum eine Weihnachtsansprache ohne den königlichen Appell an Toleranz in der multikulturellen Gesellschaft. “Diskriminierung existiert noch immer, beklagte sie 2004. “Die Notwendigkeit, für unsere Mitmenschen da zu sein, ist viel wichtiger als alle kulturellen oder religiösen Unterschiede.” Gleichwohl stellte das Centre for the Study of Islam in the UK noch im Juni 2022 fest, dass die Beliebtheitswerte der Queen unter jungen Muslimen eher dürftig waren.
Ihr Sohn und Nachfolger Charles III. kann schon jetzt bei seinen muslimischen Untertanen punkten. Er gilt als ausgesprochen islamophil, hat sogar Arabisch gelernt und verblüte bereits seine Gastgeber in der Kairoer Al-Azhar-Moschee mit der Rezitation von Koranversen. Schon vor 29 Jahren erklärte Prince Charles bei einer Rede in Oxford, dass der Islam ein “Teil Europas” sei. “Darüber hinaus kann uns der Islam heute eine Weise lehren, die Welt zu verstehen und in ihr zu leben, die das Christentum selbst leider verloren hat.” Dass der Thronfolger bei einer Türkei-Reise zum Islam übergetreten sei, bleibt allerdings definitiv ein Gerücht.
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