Segenswünsche der Deutschen Bischofskonferenz an Aleviten
Liebe alevitische Gläubige,
zu Beginn der zwölftägigen Muharrem-Fastenzeit und dem anschließenden alevitischen Aşure-Fest am 19. Juli 2024 sende ich Ihnen im Namen der katholischen Kirche in Deutschland meine herzlichsten Segenswünsche.
Mittlerweile ist es fast schon zur Normalität geworden, dass auch bei freudigen Grußworten auf die aktuellen Krisen hingewiesen werden muss. Die Corona-Pandemie ist zum Glück inzwischen überstanden, doch seit Februar 2022 wütet wieder ein brutaler Angriffskrieg in Europa. Seit Kriegsbeginn konnte ich die Ukraine zweimal besuchen und das große Leid der Menschen wahrnehmen. Hinzu kommt der Krieg im Nahen Osten, der einem humanitären Albtraum gleicht. Er belastet auch das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften bei uns in Deutschland. Gleichzeitig nehmen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu, die freiheitlich-demokratische Grundordnung wird von Rechtsextremen offensiv bekämpft. Im Jahr, in dem der 75. Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert wird, sollten wir uns besonders daran erinnern: Der in unserer Verfassung verbriefte Schutz der Würde eines jeden Menschen ist eine Errungenschaft, die es unbedingt zu verteidigen gilt. Sie ist – in geschichtlicher Perspektive – keine Selbstverständlichkeit. Wer diesen „Glutkern des christlichen Menschenbildes“ und „Anker unserer Verfassungsordnung“ infrage stellt, muss mit dem Widerstand der Kirche rechnen (vgl. die Erklärung der deutschen Bischöfe Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar vom 22. Februar 2024).
Auch Ihre Tradition, liebe alevitische Gläubige, kennt ein entschiedenes Einstehen für Gerechtigkeit, gerade wenn die Umstände schwierig sind. Sehr eindrücklich ist etwa der Ausspruch von Ali ibn Abi Talib, der für Sie eine große Bedeutung hat: „Wer sich dem Unrecht beugt, verliert nicht nur sein Recht, sondern auch seine Würde.“ Hier klingt auch jene große Dimension der Gerechtigkeit an, die durch den Propheten Jesaja verheißen wurde: „Durch seine Gerechtigkeit erweist sich Gott als heilig“ (vgl. Jes 5,16). Gott ruft uns dazu auf, nicht zu schweigen, wenn Recht gegen Unrecht eingetauscht wird. Er gibt uns den Mut und die Fähigkeit, aktiv für Gerechtigkeit einzutreten. Die Rückbesinnung auf das von Gott uns Zugesagte und ein historischer Weitblick können uns helfen, die Zuversicht nicht zu verlieren, das Schützenswerte in der Gegenwart zu erkennen und uns – jenseits religiöser und kultureller Grenzen – gemeinsam für Frieden und Demokratie zu engagieren.
In unseren Religionen finden wir auch ganz konkrete Anleitungen, um Ruhe und Kraft zu finden. So kennt sowohl die christliche als auch die alevitische Tradition die Praxis des religiösen Fastens. Im Alltag können wir allzu leicht vergessen, dass Gott schon jetzt bei uns ist, sich um uns sorgt und unser Tun begleitet. Indem wir in Fastenzeiten aus den gewohnten Routinen heraustreten, schöpfen wir neue Kraft und vertiefen unsere Beziehung zu Gott.
Möge diese Fastenzeit Ihnen, liebe alevitische Gläubige, helfen, den inneren Kompass auf den Grund und das Ziel des Lebens zu richten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und allen, die Ihnen nahestehen, ein erfülltes Muharrem-Fasten und ein friedliches Aşure-Fest.
Dr. Bertram Meier
Bischof von Augsburg
Quelle: https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/muharrem-fasten-und-asure-fest-2024
Das Grußwort finden Sie al PDF hier
Hintergrund
Die Fastenzeit der Aleviten im Monat Muharrem, dem ersten Monat des islamischen Kalenders, dauert im Jahr 2024 vom 7. bis 18. Juli. Während dieser zwölf Tage, deren Zahl an die zwölf Imame erinnert, gedenken die Aleviten insbesondere des gewaltsamen Todes des Imam Hüseyin nebst 72 Familienangehörigen und Anhängern im Jahr 680. Im Anschluss an das Fasten – in diesem Jahr am 19. Juli – feiern die Aleviten das Aşure-Fest, an dem in Erinnerung an das Überleben in der Arche Noah eine Speise (Aşure) aus zwölf Zutaten zubereitet wird. Das alevitische Aşure-Fest ist nicht mit dem Aschura-Tag der Schiiten und der Sunniten zu verwechseln, mit dem sich zum Teil ähnliche, zum Teil aber auch unterschiedliche Überlieferungen verbinden.