Liebe Leserinnen und Leser,
Papst Franziskus steht seit zehn Jahren an der Spitze der katholischen Kirche und setzt wichtige Zeichen auf dem Feld des interreligiösen Dialogs, insbesondere der christlich-islamische Dialog scheint ihm am Herzen zu liegen. Wir gratulieren dem Pontifex zu diesem Jubiläum! Jüngst publizier te der katholische Theologe Ernst Fürlinger ein Buch mit den wichtigsten Texten des Papstes zu diesem Thema unter dem Titel „Handwerker der Hoffnung“. Eine Buchbesprechung von Christian Trenk findet sich in dieser Ausgabe. Papst Franziskus hat bei verschiedenen Anlässen für mehr Dialog appelliert. Die bedeutendste interreligiöse Initiative seines Pontifikats stellt die Unterzeichnung des Dokuments über die „Brüderlichkeit aller Menschen“ mit Ahmad al-Tayyeb im Jahre 2019 in Abu Dhabi dar.
In der vorliegenden Ausgabe blickt Ester Schirrmacher auf die Vereinten Arabischen Emirate, wo das Dokument unterzeichnet wurde, und geht der Frage nach, welche Rolle das Dokument in der Toleranzpolitik spielt. Carsten Polanz hingegen stellt Ahmad al-Tay yeb und Abdullāh Bin Bayyah vor, zwei bedeutende Persönlichkeiten sowohl beim Entstehen des Dokuments als auch bei seiner Rezeption im muslimischen Kontext. Polanz analysiert anhand von Texten, Stellungnahmen, Interviews etc., wie Aussagender beiden Protagonisten sich zu dem Dokument verhalten. Darüber hinaus greift er exemplarisch die Themen Religionsverständnis, -freiheit, Apostasie, religiös motivierte Gewalt und
Judentum auf und zeigt, wie al-Tayyeb und Bin Bayyah darauf eingehen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Armin Eschraghi blickt in seiner Studie auf die Entwicklungen angesichts der anhaltenden Demonstrationen in iranischen Städten und fragt, ob eine Entwicklung hin zur Säkularisierung stattfindet. Er prognostiziert, dass „wie auch immer ein Iran nach dem Ende der Islamischen Republik verfasst sein mag, religiöse Ideologie wird in der Politik keine Rolle mehr spielen.“
Die seit einigen Monaten anhaltenden Ereignisse in Iran haben längst Deutschland erreicht und auch hier für Kontroversen gesorgt. Im Mittelpunkt der Kritik steht das „Islamische Zentrum Hamburg“, das im Verfassungsschutz erwähnt wird und als verlängerter Arm des iranischen Staates gilt. Dass Religionen transnational sind und es legitim ist, solche Beziehungen zu unterhalten, steht außer Frage. Dürfen sich aber religiöse Organisationen in Form von Moscheegemeinden und kulturellen Vereinen in Deutschland in den Dienst anderer Staaten stellen? Wie lässt sich dies damit vereinbaren, dass das Leben
in einer pluralistischen freiheitlichen Gesellschaft in vollen Zügen genossen wird, andererseits theokratische und autokratische Systeme gestützt werden? Der Wahlkampf für das Präsidialamt der Türkei, der in den letzten Monaten, unterstützt von türkisch geprägten Moscheen, auch in Deutschland ausgetragen wurde, gibt Anlass zum Nachdenken. Es ist im Interesse aller, wenn Religiöses nicht mit Machtpolitischem vermischt wird und umgekehrt. Das ist allerdings keine Absage daran, dass religiöse Menschen Politik betreiben dürfen.
Im oben erwähnten Dokument ermutigen Papst Franziskus und Großscheich al-Tayyeb Christen, Muslime und alle Menschen guten Willens für eine „Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab annehmen wollen.“
In diesem Sinne viel Freude bei der Lektüre dieses Heftes
Ihr Timo Güzelmansur
INHALT
Studien
Säkularisierung in der Islamischen Republik – quo vadis Iran?
Armin Eschraghi
Gleiche Begriffe – gleicher Inhalt? Eine Problemskizze im Dialog mit dem Religions- und Gesellschaftsverständnis von Ahmad al-Tayyeb und Abdullāh Bin Bayyah
Carsten Polanz
Menschliche Brüderlichkeit als Gesprächsangebot: Inhaltliche Auseinandersetzung oder oberflächliche Toleranzpolitik?
Esther Schirrmacher
Dokumentation
Botschaft des Dikasteriums für den interreligiösen Dialog zum Ramadan und ’Id al-Fitr, 1444 H./2023 A. D.
Vatikanstadt, 3. März 2023
Grußbotschaft des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zum muslimischen Fastenmonat Ramadan
Bonn, 22. März 2023
Grußwort zum Fastenmonat Ramadan der Vorsitzenden des Rates der EKD
Hannover, 17. März 2023
Grußbotschaft des Bundespräsidenten zum Fest des Fastenbrechens
Berlin, 20. April 2023
Berichte
Woman Building a Culture of Encounter Interreligiously . An international conference to share, listen, and network.
Päpstliche Universität Urbaniana, Rom, 25.–27. Januar 2023
Carolin Brusky
Sufismus in Deutschland. Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart,
Stuttgart‑Hohenheim, 7. Februar 2023
Hanna Momand
The Concept of Religion and the Concept of Rationality in Judaism, Christianity and Islam. Tagung des BaFID,
Friedrich‑Alexander-Universität Erlangen‑Nürnberg, 15.–17. Februar 2023
Valerie Jandeisek
Christliches Profil und muslimisches Personal.
Fachtag an der Katholischen Akademie Schwerte, 8. Mai 2023
Benedikt Körner
Buchbesprechungen
Fürlinger, Ernst: Handwerker der Hoffnung:
Papst Franziskus und der interreligiöse Dialog. Zum 10-Jahr-Jubiläum von Papst Franziskus
Christian Trenk
Karimi, Ahmad Milad: Maradona und das göttliche Spiel. Warum das Wesentliche unverfügbar bleibt
Christian W. Troll SJ
Reinbold, Wolfgang: Koran und Bibel: Ein synoptisches Textbuch für die Praxis
Timo Güzelmansur