Stuttgart (KNA) Der katholische Theologe und Islamexperte Timo Güzelmansur hat die Integrations- fähigkeit der Aleviten in Deutschland betont. Aufgrund ihrer eigenen Verfolgungsgeschichte in der Türkei seien Aleviten oft “besonders sensibel für den Gedanken der Freiheit – auch der Freiheit des anderen”, sagte Güzelmansur am Dienstag bei einer Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Anders als strenggläubige sunnitische Muslime pochten sie auch nicht auf rigide Geschlechtertrennung und die Verhüllung der Frau. “Das trägt dazu bei, dass es unter Aleviten wenig Integrationsprobleme gibt”, so der Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz. Zudem falle ihm bei Aleviten immer wieder ein hohes Umweltbewusstsein auf. Der Theologe führt dies auf die alevitische Glaubensüberzeugung zurück, dass sich Gott besonders in seiner Schöpfung zeige und das “göttliche Licht” in jedem Lebewesen wohne.
Die alevitische Glaubensgemeinschaft entwickelte sich im 13. und 14. Jahrhundert in Anatolien aus dem schiitischen Zweig des Islam. Ihr Name verweist auf Ali, den Vetter Mohammeds und vierten Kalifen, den sie tief verehren. Die rituelle Gottesverehrung des Mehrheitsislam lehnen die Aleviten ab. Vorschriften der Scharia und die fünf Säulen des Islam – etwa die täglichen Pflichtgebete oder das Fasten im Ramadan – sowie die Verschleierung und Ausgrenzung der Frau und andere Aspekte der Scharia spielen für sie keine Rolle. Den Koran legen Aleviten nicht wortwörtlich aus.
Wegen ihrer Abweichung vom orthodoxen Islam waren Aleviten in der Türkei immer wieder schwerer Verfolgung ausgesetzt. Bis heute werden sie dort staatlich diskriminiert, etwa beim Religionsunterricht. Viele Aleviten sehen sich auch nicht als Muslime, sondern als eigenständige Glaubensgemeinschaft. In Deutschland leben nach Schätzungen 500.000 bis 800.000 Aleviten.
Die Tagung in der Stuttgarter katholischen Akademie stand unter dem Motto “Aleviten in Deutschland – Gesellschaft gemeinsam gestalten”. Organisiert wurde sie in Zusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos und dem Verband Alevitische Gemeinde Deutschland, der rund 160 Ortsgemeinden bundes- weit vertritt.
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