Gefragte Fachleute auch in Zeiten von Corona
Von Gregor Krumpholz (KNA)
Berlin (KNA) Als geschäftsführender Direktor leitet Georg Essen das neue Institut für Katholische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität. In einem am Dienstag veröffentlichten Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zieht der Dogmatikprofessor eine Bilanz des ersten Jahres.
KNA: Herr Professor Essen, warum braucht Berlin ein Institut für Katholische Theologie?
Essen: Zunächst gibt es hier einen sehr großen Bedarf an Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Zudem soll katholische Theologie in neuer Weise in der Hauptstadt präsent sein. Denn in säkularen und pluralen Gesellschaften verschwindet Religion nicht einfach, sondern sie nimmt neue Formen an. Diese Phänomene erhöhen den wissenschaftlichen Deutungsbedarf.
KNA: Wie äußert sich das?
Essen: Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung Religion unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen hat. In Berlin war etwa das Kreuz auf dem wiedererrichteten Stadtschloss, dem neuen Humboldt-Forum, ein Thema. Die Debatte pro und contra zeigt, dass auch die säkulare Gesellschaft sich mit den Traditionen auseinandersetzen muss, aus denen sie gewachsen ist. Hier ist die Expertise gerade der konfessionsgebundenen Theologien unverzichtbar.
KNA: Von wem wurden Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen schon angefragt?
Essen: Alle sind gefragte Gesprächspartner bei Medien, Akademien und politischen Stiftungen. Mein Forschungsschwerpunkt etwa ist das Verhältnis von Religion, Recht und Verfassung, wie es etwa beim Berliner Neutralitätsgesetz relevant ist. Unser Ethiker Benedikt Schmitt beschäftigt sich mit aktuellen Fragen der Bioethik.
KNA: Ist das Institut mit sechs Professuren ausreichend dafür ausgestattet?
Essen: Wir decken das gesamte Spektrum der Katholischen Theologie ab, wenn auch kleinformatig, aber mit einem Schwerpunkt auf der theologischen Anthropologie. Dabei geht es etwa darum, welche Bedeutung religiös imprägnierte Menschenbilder haben und wie die Kirchen ihre Menschenbilder in eine säkularisierte Umwelt vermitteln. Außerdem wollen wir einen Studiengang “Religion und Gesellschaft” anbieten, der sich auch an Nicht-Theologen richtet. Hinter diesem Konzept steht ausdrücklich auch die vatikanische Bildungskongregation.
KNA: Ihr Institut ist mit dem zeitgleich gegründeten Institut für Islamische Theologie in einem Haus untergebracht. Inwieweit kooperieren Sie mit Ihren Nachbarn?
Essen: Wir sind an einem großen Ethik-Projekt des Islam-Instituts beteiligt. Mit dem Islam-Institut und der “School of Jewish Theology” in Potsdam arbeiten wir außerdem an einem gemeinsamen Forschungsprogramm über die unterschiedlichen Konzepte von Theologie. Selbstverständlich kooperieren wir auch eng mit der evangelischen Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität. Überdies stellt sich aus meiner Sicht die Frage, wie wir in den kommenden Jahren zu institutionalisierten Formen der Kooperationen kommen, für die Berlin exzellente Voraussetzungen bietet.
KNA: Wie steht es mit der Erfurter Katholisch-Theologischen Fakultät?
Essen: Wir stehen auch mit ihr in Verbindung und sind gerade im Gespräch über eine Kooperation, weil der akademische Doktorgrad derzeit nur an einer Fakultät erworben werden kann. Eine Zusammenarbeit mit einer römischen Universität, wie sie andere theologische Lehreinrichtungen haben, streben wir nicht an.
KNA: In die Aufbauphase des Instituts fiel die Corona-Pandemie. Wie hat sich das ausgewirkt?
Essen: Massiv, wie in der Gesellschaft insgesamt. Die Vernetzungen, die wir schon begonnen hatten, liegen zum Teil brach. Außerdem mussten wir schon das zweite Mal unsere Eröffnungsfeier absagen. Andererseits haben wir den Vorteil eines kleinen Instituts. So konnten wir per Internet eine Konferenz mit allen Lehrenden und den rund 60 Studierenden abhalten. Auch haben wir es geschafft, das komplette Lehrangebot digital anzubieten. Der große Nachteil ist: Für uns Lehrende ergaben sich im Sommersemester so gut wie keine Kontakte zu Studierenden.
KNA: Die katholische Kirche in Deutschland ist derzeit auf einem Synodalen Weg, wie der Reformdialog von Geistlichen und Laien heißt. Was könnte das Institut dazu beitragen?
Essen: Im Vergleich etwa zur Erfurter Fakultät beteiligen wir uns als Institut weniger intensiv am Synodalen Weg, sondern haben primär die säkulare Gesellschaft im Blick, in der es gilt, die Theologie zu verorten. Als Dogmatiker aber beteilige ich mich durchaus an Diskussionen zur Zukunft des kirchlichen Amtes, der Beteiligung der Laien oder der Möglichkeit einer innerkirchlichen Gewaltenteilung.
KNA: Hat der Synodale Weg zu wenig theologischen Tiefgang, wie Kritiker bemängeln?
Essen: Diesen Vorwurf halte ich für eine Dreistigkeit. Wer dies behauptet, sollte eigentlich sagen, dass es nicht die Theologie ist, die er selbst für richtig hält. Tatsächlich engagieren sich beim Synodalen Weg viele unserer profiliertesten Theologinnen und Theologen.
KNA: Was halten Sie von dieser Art des Reformdialogs?
Essen: Auch wenn ich die Ziele aufrichtig unterstütze, bleibe ich skeptisch. Der Synodale Weg wird mit Erwartungen überfrachtet, die kaum eingelöst werden können. Er könnte im Ergebnis zu noch mehr Ratlosigkeit, Frustration und Resignation führen, was bitter wäre. Es werden ja alle Themen aufgegriffen, die seit den 1970er Jahren aufgeschoben und ausgesessen werden, und das heute bei wesentlich stärkerer Polarisierung der Positionen. Zugleich immunisiert sich das kirchliche Lehramt gegenüber allen Reformbewegungen. Im Synodalen Weg spiegelt sich die Sackgasse der römisch-katholischen Kirche wider. Sie hat sich im 19. Jahrhundert ein dogmatisches und rechtliches Gerüst gegeben, das sie vollständig blockiert, weil sie über ihre eigenen versteinerten Traditionen nicht mehr hinweg kann. Ich kämpfe in dieser Hinsicht sehr, wie ich zugeben muss, gegen Resignation an.
KNA: Frustriert es Sie, wenn Sie als Theologe wegen solcher Einschätzungen des Abfalls vom Glauben bezichtigt werden?
Essen: Das ist ja nicht neu. In der Kirche, in der um unterschiedliche Positionen konfliktreich gerungen wird, gab es immer wieder derartige Vorhaltungen und Attacken. Ich bedauere aber eine latente Wissenschaftsfeindlichkeit des römischen Lehramtes der Theologie gegenüber, wenn es sich etwa seit 100 Jahren abkoppelt von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Beispiel mit Blick auf Sexualität.
KNA: Der Synodale Weg ist auch eine Reaktion auf die Missbrauchskrise. Wie bewerten Sie es, wenn Kirchenleitungen beim Umgang mit Missbrauchsfällen dem Schutz der Institution Vorrang gegeben haben vor dem Schutz von Opfern, wie es offenbar geschehen ist?
Essen: Der Missbrauch und dessen Vertuschung durch Amtsträger ist eine Beschädigung des katholischen Selbstverständnisses, von der wir noch nicht wissen, wie wir weiter damit umgehen können. Das gibt der Missbrauchskrise ein dramatisches Ausmaß. Der Kirche droht ein Legitimationszerfall, wie wir ihn bislang noch nicht kannten.
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