“Genauer hinsehen”
Von Joachim Heinz (KNA)
Göttingen (KNA) Die jüngsten islamistischen Attentate werfen wieder einmal die grundsätzliche Frage auf, ob der Rechtsstaat nicht robuster mit Menschenrechtsverächtern umgehen sollte. Ein Gespräch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit Dietmar von der Pfordten. Der 56-Jährige ist Professor für Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität in Göttingen.
KNA: Herr Professor von der Pfordten, nach den jüngsten Attentaten haben Frankreichs Präsident Macron und Österreichs Kanzler Kurz angekündigt, mit harter Hand gegen den gewaltbereiten Islamismus vorzugehen. Solche und ähnliche Bekundungen hören wir nach jedem Anschlag. Hilft uns das weiter?
von der Pfordten: Ich halte wenig von solchen Formulierungen wie “Härte zeigen”. Wir sollten nicht ständig emotional überreagieren.
KNA: Sondern?
von der Pfordten: Lernen, mit der Bedrohung zu leben, sie ernst nehmen, genauer hinsehen und das Instrumentarium, welches uns der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, konsequent anwenden. Wir haben das Strafrecht, wir haben Möglichkeiten der Überwachung.
KNA: Das scheint nicht immer zu helfen.
von der Pfordten: Wir können die Gefahr von Anschlägen immer nur reduzieren, aber ganz ausschließen können wir sie nicht.
KNA: Der Angreifer, der im vergangenen Monat in Dresden zwei Männer attackierte und einen von ihnen erstach, stammte aus Syrien. Wäre es ethisch vertretbar, Gefährder oder Täter auch in ein solches Land abzuschieben, in denen Krieg herrscht und ihnen Gefahr für Leib und Leben droht? Oder gehen wir mit solchen Diskussionen Populisten auf den Leim?
von der Pfordten: Wir sollten solche Debatten sachlich und ohne Denkverbote führen. Dabei wird man die Grenze dessen, was sich aus der humanistischen oder christlichen Tradition unseres Rechtsstaates ableiten lässt, etwas enger oder weiter fassen können. Es gilt aber der Grundsatz, dass die Behörden einen Menschen durch eine Abschiebung nicht einer erhöhten Gefahr für Leib und Leben aussetzen dürfen. Gerade in Konfliktgebieten muss man deswegen sehr genau hinschauen. So wurden vor der Corona-Pandemie Abschiebungen nach Afghanistan angeordnet, weil sich dort die Lage von Provinz zu Provinz unterscheidet. Für Syrien sehe ich derzeit keine Möglichkeit zur Abschiebung.
KNA: Der Attentäter von Wien hatte bereits eine Gefängnisstrafe verbüßt und war vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Der österreichische Innenminister Karl Nehammer erklärte, der 20-Jährige habe alle Bewährungshelfer bewusst getäuscht. Allgemein gefragt: Sind Bewährungshilfen ein geeignetes Mittel im Umgang mit radikalen Islamisten?
von der Pfordten: Ein Verurteilter muss die Chance bekommen, sich wieder in die Gesellschaft integrieren zu können. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob bei radikalislamischen Fundamentalisten eine Gesinnungsumkehr in einem vergleichsweise überschaubaren Rahmen erfolgen kann. Für einen Steuersünder kann zum Beispiel eine Bewährungsstrafe ein Schuss vor den Bug sein. Für einen jungen, gewaltbereiten Islamisten mutmaßlich weniger.
KNA: In Deutschland wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren intensiv über die Antwort des Staates auf die terroristische Bedrohung durch die linksradikale RAF diskutiert. Lässt sich irgendetwas davon fruchtbar machen für die aktuelle Debatte?
von der Pfordten: Damals wie heute existiert um die Attentäter herum ein Sympathisantenkreis, der zwar selbst keine Gewalttaten begeht, aber diese Akte mental unterstützt. Wir müssen versuchen, diese Menschen zu erreichen. Durch Prävention aber auch durch eine ganz klare Botschaft: Dass wir Verbrechen und Gewalt in keinster Weise tolerieren.
KNA: Sie sprechen damit die Gesellschaft als Ganzes an.
von der Pfordten: Die Schule, den Staat, die Medien – alle. Zugleich müssen wir darauf achten, die Grenzen nicht zu verwischen. Die Absage an jede Form von Extremismus hat einherzugehen mit aufgeklärter Toleranz gegenüber den Religionen. Die Kritik am politischen Islamismus darf nicht in Islamhass umschlagen.
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