Frankfurt (KNA) Die Rolle von Religion in der Gesellschaft muss nach Einschätzung des Frankfurter Rechtswissenschaftlers Rudolf Steinberg neu bedacht werden. Derzeit würden religiöse Symbole, insbesondere “religiös konnotierte Kleidungsstücke”, aus immer mehr Bereichen ausgeschlossen, schreibt er in einem Gastbeitrag für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” (Montag). Dies gelte für Burka und Nikab, aber auch für das muslimische Kopftuch. “Dadurch angestoßen, schrumpft der Raum für die Präsentation religiöser Symbole erheblich. Die Laizität ergreift immer mehr Bereiche von Staat und Gesellschaft.” Steinberg war von 2000 bis 2008 Präsident der Goethe-Universität in Frankfurt.
Die ursprüngliche Funktion von Laizität in Frankreich sei nicht der Kampf gegen die Religion gewesen, so der Wissenschaftler. “Sie will nur – und auch das nur mit gewissen Einschränkungen – die Religion aus dem staatlichen Bereich verbannen, stellt also eine striktere Trennung von Staat und
Religion dar, als das in Deutschland nach der Ordnung des Grundgesetzes mit der ‘hinkenden Trennung’ der Fall ist.” Wenn religiöse Symbole nun allerdings aus Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen würden, werde die Laizität von einem Ordnungsprinzip zu einer Ideologie, “einer Weltanschauung nach Art einer religion civile”.
Für den veränderten Umgang mit religiösen Symbolen sieht Steinberg eine Vielzahl von Gründen. Dazu zählten ein “zunehmendes Unverständnis über die Beschränkung von Freizeitvergnügen durch religiöse Vorgaben” sowie ein “unvermindert fortschreitender Prozess der Säkularisierung”. In der Öffentlichkeit werde zudem besonders der orthodoxe Islam wahrgenommen, so Steinberg weiter. “Schließlich spielt das Eindringen fundamentalistischer Gruppierungen wie der Salafisten in muslimischen Gemeinden eine Rolle.” Manches religiöse Symbol werde als besondere Betonung der muslimischen Identität wahrgenommen.
Der Wissenschaftler verweist auf das Bundesverfassungsgericht, das Verbote von religiösen Symbolen als möglich bezeichnet, wenn dadurch Konflikte verhindert werden könnten. Diese “friedensstiftende, integrierende Funktion des Laizitätsprinzips” könne jedoch auch umschlagen und Spaltungen vertiefen. Auch gehe mit dem Zurückdrängen von Religion viel verloren, sagte Steinberg: “die mäßigende, aufgeklärte und den Gemeinsinn fördernde Stimme der Religion in den Schulen, in den sozialen Aktivitäten, in den Diskussionen über die Zivilität der Gesellschaft”.
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